
Thomas Sigrist – der Wandel seines Lebens und was den Kampfsportler und heutigen Vegan-YouTuber bewegt hat, seine Ernährung komplett umzustellen
Aufgezeichnet von Alma Pfeifer
FOTO: PR
Kampfsport war mein Ding. Mit 14 ging es los. Ich wurde drei Mal Schweizer Karatemeister, zweifacher Vize-Europacupsieger und Gewinner mehrerer Preise bei internationalen Wettkämpfen. Als es darum ging, mich für eine Ausbildung zu entscheiden, fiel die Wahl auf eine Kochlehre. Ein Großteil der Familie war im Gastgewerbe tätig, mein Großvater und mein Vater arbeiteten als Köche. Ich fand eine Lehrstelle, bei der ich weiterhin trainieren konnte, weil ich abends frei hatte. Einziger Haken: Die Lehrstelle stand erst ein Jahr später als geplant zur Verfügung.
Was nun? Warum nicht ein Metzger-Praktikum im Wallis, fand mein Vater, der seinerzeit denselben Weg gegangen war. Kurze Zeit später fand ich mich in einer Metzgerei mit eigenem Schlachthof wieder. Die Bilder, Gerüche und Töne sind mir gut in Erinnerung: Schrille Schreie, zuckende Bewegungen, Blutlachen, der Geruch nach verbrannten Borsten, im Hintergrund das Rauschen der Sprinkleranlage, die die Schweine kurz vor ihrem Ende beruhigen soll. Mit der jugendlichen Unbeschwertheit eines 15-Jährigen war ich mit der Situation heillos überfordert. Ich wollte nur noch weg. Praktikum abbrechen, zusammenpacken, nach Hause flüchten. Vegetarier werden.
fleisch essen – oder ein schwächling sein?
Mein Vater und mein Chef appellierten an meine Vernunft, an meine Einsicht in die Notwendigkeit des Tötens von Tieren. Schließlich gehe es um unsere Gesundheit. Gerade für mich, der so viel Sport trieb, sei Fleisch zu essen besonders wichtig. Das Gefühl, ein Schwächling zu sein, setzte mir zu. Also verdrängte ich schlechtes Gewissen und Mitleid und tröstete mich damit, dass in einem Jahr alles überstanden wäre.
Zehn Jahre lang arbeitete ich an verschiedenen Orten als Koch und trainierte weiterhin fast täglich. Dem Karate folgte der Kraftsport. Um meine Muskeln aufzubauen, erschien mir der tägliche Fleisch-, Milch-, Ei- und Fischkonsum nun erst recht unerlässlich. An Wochenenden gönnte ich mir saftige 400-Gramm-Steaks und Entrecôtes. Ich hätte jedes Tier gegessen. Auf Reisen probierte ich alle möglichen behaarten, schuppigen und gefiederten Tiere aus – Krokodil, Strauß, Pferd, Frosch.
unmheimliche begegnung mit einer veganerin
Bis ich vor ein paar Jahren – ich war nun als Finanzberater tätig – die neue Bürosekretärin der Firma kennenlernte. Eine Veganerin. Ihre Ernährungsweise erschien mir lächerlich, sogar unvernünftig. Gleichzeitig faszinierte mich ihre konsequente Einstellung. Dann kam „Earthlings“, ein Dokumentarfilm über das Leid und die Ausbeutung von Nutztieren. Plötzlich waren das schlechte Gewissen, das Mitgefühl wieder da. Ich verschlang Filme und Dokumentationen und las, was ich zum Thema pflanzliche Ernährung finden konnte. Je mehr ich lernte, desto weniger Sinn ergab mein damaliger Lebensstil.
Und doch sollte es noch zwei Jahre dauern, bis mich Fleisch wirklich losließ. Es war am Morgen des 1. Januar 2017. Ich stand vor dem Frühstücksbuffet eines Urlaubshotels und griff, ohne lange darüber nachzudenken, an Würstchen, Rührei und Käsescheiben vorbei nach dem Gemüse, den Früchten und Nüssen, als hätte ich seit Jahren nichts anderes gewählt.
Trotz der Überzeugung, das Richtige zu tun, fiel mir die Umstellung anfangs schwer. Die neue Lebensweise stellte viele Gewohnheiten infrage. Doch allmählich sah ich statt Verzicht, den ich immer fürchtete, den Gewinn dieser neuen Lebensweise: die unbekannten Lebensmittel, die Vielfalt an Farben und Geschmäckern in meiner Küche. Es war keine eingeschränkte, sondern eine aufregende Welt.
Und der Sport? Die Proteine, die mir fehlen würden? Meine Gesundheit? Ganz zu schweigen von der Energie und der Farbe, die aus meinen Muskeln und meiner Haut weichen würden? Alle Bedenken erwiesen sich als unbegründet. Im Gegenteil: Heute fühle ich mich gesünder, fitter und stärker denn je. Seit ich keine Milchprodukte mehr konsumiere, leide ich nicht mehr unter Migräneanfällen, zu deren Bekämpfung mir die Ärzte diverse Medikamente und Blutverdünner empfahlen. Sehnenentzündungen an Schulter und Ellenbogen heilten. Auch der Heuschnupfen, der mich jeden Sommer verrückt machte, ist nahezu vollständig verschwunden.
vom äusseren zum inneren wandel
Die eindrücklichste Veränderung aber war der innere Wandel. Das Gefühl tiefer Verbundenheit mit der Natur. Heute ist mir schleierhaft, wie man sich über Gewalt unter den Menschen empören, Gewalt an Tieren als ebenso empfindsamen Lebewesen aber unterstützen kann. Tiere sind uns in vielerlei Hinsicht weit ähnlicher, als wir wahrhaben wollen. Ihre Fähigkeit, füreinander da zu sein, die Liebe einer (Tier-)Mutter zu ihrem Kind, das Empfinden wie Schmerz, Angst, Zuneigung oder Freude. Diese Gemeinsamkeiten sollten wir uns vergegenwärtigen. Ich bin davon überzeugt, dass die Welt dadurch ein friedlicherer Ort würde. Das ist auch der Grund, warum ich Information und Aufklärung für so wichtig halte: Viele Menschen essen Tiere und Milchprodukte nicht aus Bosheit, sondern weil sie zu wenig über die Hintergründe der Fleisch- und Milchindustrie wissen.
Die gute Gesundheit meiner drei Kinder, meiner Frau und mir zeigt, dass eine vegane Lebensweise nicht nur möglich, sondern empfehlenswert ist, sofern man sich ausreichend informiert. Wir können so viel Gutes bewirken, wenn wir zu einer Haltung der Empathie finden. Und auch uns selbst helfen wir damit: Es fühlt sich einfach besser an, einander mit Achtung zu begegnen – den Menschen und den Tieren.

Dem Kraftsport ist Thomas Sigristtreu geblieben – seit er sich vegan ernährt, fühlt er sich fitter und stärker denn je;
dafür sind die Sehnen nicht mehr entzündet, auch Heuschnupfen und Migräne passé
// ZUR PERSON: //
Thomas Sigrist (42) hat die vegane Ernährung und Lebensweise als den empathischsten, gesündesten und zugleich spannendsten Weg für sich entdeckt und möchte auch andere Menschen dafür begeistern. Unter dem Label „v-form“ produziert er regelmäßig YouTube-Videos (YouTube-Suchbegriff: VFormOfficial). Die Beiträge sind ebenso unterhaltend wie überzeugend, ohne belehrend zu wirken. Thomas Sigrist ist als selbstständiger Finanzberater tätig. Er lebt mit seiner Familie in Zürich. Seine aktuelle Kampagne auf YouTube, gemeinsam mit vier gleichgesinnten Ex-Metzgern: „Metzger gegen Tiermord“ (Suchbegriff).