Auf Nummer Sicher: Vitamin B12

Vitamin B12 und vegane Ernährung – die Problematik ist so alt wie die vegane Idee selbst. Heute wissen wir, dass
nur eine Supplementierung die Versorgung sicherstellt

von Iris Berger

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B12 für die Beweglichkeit: Ein Mangel kann unbehandelt sogar

zu irreversiblen Lähmungserscheinungen führen

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Je mehr sich die vegane Ernährungs- und Lebensphilosophie verbreitet, desto besser wird die für Veganer kritische Versorgung mit Vitamin B12. Trotzdem ranken sich darum immer noch viele Halb- und Unwahrheiten. Das macht die optimale Zufuhr so schwierig. Dabei ist Vitamin B12 ungeachtet der geringen erforderlichen täglichen Dosis für den Stoffwechsel essenziell – das heißt, es muss dem Körper zugeführt werden. Vitamin-B12-Mangel stört vor allem drei Stoffwechselvorgänge: Eine Behinderung der Zellreifung im Blut bewirkt erstens, dass sich die roten Blutkörperchen nicht ausreichend teilen und eine abnorme Größe entwickeln, was zur Vitamin-B12-Mangelanämie führen kann. Diese kann zum Teil durch die bei veganer Ernährung typischerweise reichlich aufgenommene Folsäure aufgefangen werden.

 


WICHTIGER NÄHRSTOFF FÜR DIE NERVEN

Ein Fehlen von B12 führt zweitens zu einer erhöhten Konzentration von Homocystein im Blut, für dessen Abbau es verantwortlich ist. Auch hier kann Folsäure mildernd wirken, doch das für Blutgefäße und Nerven toxische Homocystein wird bereits bei einer leichten chronischen Erhöhung mit einem gesteigerten Risiko für Atherosklerose sowie Alzheimer und Demenz in Verbindung gebracht. Diese Auswirkungen würden den der veganen Ernährung nachgesagten herz- und gefäßschützenden Effekten entgegenwirken. Während diese blutspezifischen Veränderungen durch die Zufuhr von B12 teilweise umkehrbar sind, stellen drittens neurologische Schäden das weitaus größere Risiko eines B12-Mangels dar: Es wird nicht mehr genügend Myelin zur schützenden Umhüllung von Nervenfasern gebildet, wodurch es zu deren Freilegung (Entmarkung) mit der Folge einer Rückenmarksdegeneration kommt.

Ein Problem aller - oder veganer Schwachpunkt? Aus Sicht von Veganern wäre es sicherlich angenehm, sagen zu können, dass es problemlos möglich ist, ohne spezielle Anreicherung alle notwendigen Nährstoffe zuzuführen. Doch bei Vitamin B12 ist das nicht der Fall! Da hilft auch der
oft gehörte Hinweis nicht weiter, „Allesesser“ könnten aufgrund ihrer „ungesunden Lebensweise“ B12 nicht gut verwerten bzw. alle Menschen seien gleichsam von B12-Mangel bedroht: Untersuchungen sprechen eine andere Sprache – hier sind es durchweg die sich vegan Ernährenden, die signifikant häufiger einen Vitamin-B12-Mangel aufweisen. Da sich mit zunehmendem Alter die Verwertbarkeit verschlechtert, ist allen über 50-Jährigen eine erhöhte B12-Aufnahme mittels Supplementen zu empfehlen. Veganer müssen diese Empfehlung jedoch früher umsetzen, denn im Gegensatz zu manch anderem Nährstoff, den wir im Auge behalten sollten, weil die veganen Quellen begrenzt sind, gibt es für dieses Vitamin gar keine vegane Quelle – außer der Supplementierung.
Geht's nicht doch "natürlich"? Die Liste der veganen Lebensmittel, die angeblich Vitamin B12 enthalten, ist lang: Ob Algen, Pilze, Hefeprodukte, Sprossen oder ungesäubertes Gemüse – der Glaube an „natürliche“ Quellen nichttierischen Ursprungs ist stark. Und hat sich nach Jahrzehnten einmal das Wissen durchgesetzt, dass eine dieser Quellen tatsächlich kein B12 liefert, sondern womöglich eher schadet als nutzt, taucht bereits der nächste Anwärter auf: Nachdem Spirulina, dem wohl bekanntesten Anbieter für Pseudo-B12, die Werbung als Vitamin-B12-Quelle untersagt wurde, soll nun Chlorella die entsprechende Wunderalge sein. Unermüdlich wird immer weiteren Gewächsen ein B12-Gehalt unterstellt (und dieser oftmals später relativiert oder verneint, wenn das Produkt bereits als B12-Quelle in aller Munde ist). So lange verlässliche und belastbare Belege für diese Behauptungen von Präparatherstellern ausstehen, sollten wir uns fragen, wie sinnvoll solch ein Streben nach „Natürlichkeit“ der Ernährung ist, wenn es uns daran hindert, auf sichere Vitamin-B12-Quellen zurückzugreifen – zumal die vegane Ernährung oder Lebensweise insgesamt nicht diesen Anspruch erfüllen kann (und auch nicht muss). Immer wieder wird auch erwähnt, dass der menschliche Darm Vitamin B12 produziert – allerdings im Dickdarm, von wo aus es nicht resorbiert werden kann. Nur bei einer Besiedelung des Dünndarms (lediglich hier kann B12 aufgenommen werden) mit bestimmten pathogenen Keimen, die bei gesunden Menschen praktisch nicht vorkommen, bildet dieser Vitamin B12.
 

 


MEHRERE MÖGLICHKEITEN, B12 KONKRET ZUZUFÜHREN

Eine Anreicherung der veganen Ernährung mit Vitamin B12 ist auf verschiedene Weise möglich: Von Vitamin-B12-Tabletten oder -tropfen über angereicherte Nahrungsmittel oder mit B12 versetzter Zahnpasta bis hin zur B12-Injektion, die aber selbst bei einer Aufnahmestörung nicht notwendig ist und keinen Vorteil gegenüber einer hochdosierten oralen Aufnahme verschafft.
Leider sind hierzulande Lebens-mittel wie Sojaprodukte mit so wenig Vitamin B12 angereichert, dass davon zumeist 1 kg verzehrt werden müsste, um den Tagesbedarf von 3 µg bei dieser Form der Aufnahme zu decken. Bei Bio-Lebensmitteln ist der B12-Zusatz verboten. Daher ist es zumeist einfacher, direkt ein Nahrungsergänzungsmittel einzunehmen. Dieses sollte bei täglicher Einnahme 10 µg und bei wöchentlicher Einnahme 2000 µg Vitamin B12 liefern, was sich durch sinkende Aufnahmeraten bei Steigerung der Dosis erklärt. Die genannte Zahncreme ist eine einfache Möglichkeit für diejenigen, die an die Einnahme von Tabletten oder Tropfen nicht regelmäßig denken, muss dann aber auch konsequent benutzt oder mit weiteren Methoden kombiniert werden.

Cyanocobalamin oder Methylcobalamin? Bei all diesen Arten der Supplementierung ist nach wie vor das unbedenkliche Cyanocobalamin die sicherste und bewährteste Form, die aufgrund ihrer Stabilität und der jahrzehntelangen Erfahrung eine gute Aufnahme gewährleistet. Andere Formen des B12, die oft als natürlich angepriesen werden, wie Methylcobalamin, sind instabil und noch immer schlecht erforscht, weswegen Empfehlungen zur Dosierung (welche in jedem Fall deutlich höher ausfallen muss) bislang nur geschätzt werden können. Die Abwertung von Cyano- zugunsten von Methylcobalamin beruht auf einem chemischen Irrtum, denn Cyanocobalamin wirkt weder toxisch noch wird es schlechter aufgenommen als „natürliche“ Formen – auch hier ist Natürlichkeit kein geeigneter Maßstab.

Das A und O ist gute Planung von Anfang an Es ist nicht ratsam, sich auf (nicht angereicherte) vegane Lebensmittel, den körpereigenen Speicher oder die Darmsynthese zu verlassen. Auch wird kein pflanzliches Wundermittel das vermeintliche Dilemma lösen. Unzählige Veganer sind bei ihrem Versuch, ihren B12-Bedarf abseits der Supplementierung zu decken, bereits gescheitert. Mehr als 70 Jahre vegane Geschichte mit vielen B12-bedingten Erkrankungen sollten uns etwas gelehrt haben: Die oft erwähnte „gute Planung“ veganer Ernährung muss zuallererst bei Vitamin B12 ansetzen – bestenfalls zu ihrem Beginn.




B12-ERGÄNZUNG - ABER WIE?

Auf der sicheren Seite: Vier Möglichkeiten der Supplementierung
Vitamin B12 ist auf natürlichem Wege nahezu ausschließlich in Fleisch, Fisch, Eiern, Milch, Käse und anderen Milchprodukten enthalten. Bei rein pflanzlicher Ernährung muss es ergänzt werden. Die gängigsten Empfehlungen zur B12-Supplementierung:
• 3 µg über angereicherte Nahrungsmittel (zwei- bis dreimal täglich in mindestens vierstündigem Abstand)
• Oder 10 µg tägl. über ein Nahrungsergänzungsmittel
• Oder 2000 µg wöchentlich über ein Nahrungsergänzungsmittel
• Alternativ kann B12-haltige Zahncreme verwendet werden (täglich)