Vegan und fit

Sportliche Topleistungen ohne den Konsum tierischer Produkte? Was vor wenigen Jahren noch exotisch klang, wird immer selbstverständlicher

von Claudia Füßler

FOTO: MARIDAY-NOMAD SOUL-VASYL-STOCK. ADOBE.COM (3); THINKSTOCK.COM/ISTOCKPHOTO; KENNY BEELE - SPOFO.DE; PR


Besonders Ausdauersportler profitieren davon,

wenn sie Milchprodukte vom Speiseplan streichen

 

 

„Die vegane Ernährung hat uns ganz bestimmt nicht langsamer gemacht“, sagt Daniel Roth und lacht. Der ambitionierte Hobbyläufer, der gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Katrin Schäfer den veganen Läufer-Blog www.bevegt.de betreibt, war schon zehn Jahre regelmäßig in Laufschuhen unterwegs, ehe er anfing, sich mit veganer Ernährung zu beschäftigen. Jetzt essen die beiden Frankfurter seit mehr als sieben Jahren vegan – und laufen erfolgreich einen Marathon nach dem anderen. „All unsere Bestzeiten haben wir nach der Umstellung erzielt“, erzählt Katrin, wobei sie sich anfangs durchaus die Frage stellten: Reichen die Nährstoffe?
Dabei war es weniger das Protein, worum sie sich sorgten, sondern eher Eisen. „Wir achten darauf, den Kaffee nicht direkt nach dem Frühstück zu trinken, um so die Eisenaufnahme nicht zu behindern“, berichtet Katrin, zudem haben grünes Blattgemüse, Hülsenfrüchte, Hirse, Quinoa, Sesam und Kürbiskerne einen festen Platz auf ihrem Speiseplan. Dieser ist grundsätzlich sehr reich an Kohlenhydraten. Zu jeder Mahlzeit gibt es Vollkornprodukte, auch drei, vier Bananen an einem Tag sind nicht ungewöhnlich.


Kürzere Regeneration, besserer Schlaf – statt weniger Leistung

Hohe sportliche Leistungen vollbringen ohne tierische Produkte auf dem Teller? Noch immer kursiert die Mär vom Leistungseinbruch durch Verzicht auf Fleisch, Joghurt, Käse, Quark und Eier. Das sind die bekanntesten Eiweißquellen, ohne die, so der Irrglaube, Muskelaufbau, Ausdauer und Kraft litten. Dabei ist es problemlos möglich, den Eiweißbedarf mit bewusster pflanzlicher Ernährung zu decken. „Eine vegane Ernährung und sportliche Aktivität, sei es auf Hobby- oder Leistungsniveau, passen ausgezeichnet zusammen“, sagt Sebastian Joy, Geschäftsführer von ProVeg Deutschland, dem ehemaligen Vegetarier-Bund.
Das hat zum Beispiel Jannis Hopt vom Bundesliga-Verein United Volleys Rhein-Main erlebt. Der Volleyballer ernährt sich seit gut zwei Jahren vegan. „In Sachen Regenerationszeit, Schlafqualität und Energie den Tag über haben sich schnell Erfolge eingestellt“, sagt Hopt. Er achtet nicht nur darauf, dass sein Essen frei von tierischen Bestandteilen ist, sondern legt auch viel Wert auf Verdaulichkeit, achtsames Essen und ein nicht zu wildes Mischen der Zutaten. „Das ermöglicht die volle positive Wirkung meiner Ernährung“, sagt Jannis Hopt. Die ­Erfahrungen und Erfolge vieler weiterer ­veganer ­Leistungssportler wie etwa des mehrfachen Deutschen Weitsprung-Meisters Alyn Camara, der Deutschen Handball-Nationalspielerinnen Nina und Susann Müller, des Triathleten Markus Rolli, aber auch internationaler Stars wie Serena Williams, Novak Djokovic (jeweils Tennis), Lewis Hamilton (Formel 1) und Gerlinde Kaltenbrunner (erste Bergsteigerin der Welt, die alle 14 Achttausender ohne zusätzlichen Sauerstoff gezwang) liefern Belege dafür, dass eine rein pflanzliche Ernährung nicht nur keine Leistungseinbußen zur Folge hat, sondern sogar absolute Topleistungen mit ermöglichen kann.


Besserer Sauerstofftransport im Blut ohne tierische Fette

Eine mögliche Erklärung: Durch die Vermeidung von tierischen Fetten und Cholesterin können sich an den Arterienwänden weniger Ablagerungen bilden. Dadurch kann der Körper mehr Blut und mehr Sauerstoff transportieren, das wirkt sich positiv auf die sportliche Leistungsfähigkeit aus. Der Körper regeneriert schneller und ist belastbarer. Studien zum Einfluss veganer Ernährung auf die körperliche Leistungsfähigkeit sind zwar noch rar. Umso mehr Aufmerksamkeit hat jedoch die Arbeit der Sportwissenschaftlerin Katharina Wirnitzer erfahren, die seit einigen Jahren zu diesem Thema forscht und die weltweit erste Studie zu veganer Ernährung im Ausdauerleistungssport vorgelegt hat. Ihr Ergebnis: Wenn ein Veganer seine Kost gut ausgewogen plant und sich breit gefächert ernährt, ist jeglicher Bedarf gedeckt. Vegane Ernährung ist demzufolge für alle Lebensphasen und für Leistungssportler gut geeignet, bei entsprechender Lebensweise auch optimal für Ausdauersportarten.


Grosse Effekte durch einfaches Weglassen von Milchprodukten

Leistung, sagt der Weltcup-Mountainbiker Max Brandl, habe er mit dem Umstieg auf rein pflanzliche Ernährung zwar nicht festgestellt. Aber: „Ich brauche weniger Schlaf als andere, bin sehr konstant auf Weltspitzenniveau und werde fast nie krank.“ Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Claudia Grammelspacher, mehrfache Weltmeisterin im Kickboxen. Viel Energie hat sie schon immer gehabt, seit der Umstellung von vegetarisch auf vegan hat sich das noch einmal gesteigert. Auch sie kommt jetzt mit weniger Schlaf aus. „Ich war verblüfft, was für einen Effekt das einfache Weglassen von Milchprodukten hat“, sagt die Kampfsportlerin. Vor zweieinhalb Jahren hat sie noch mal richtig abgeräumt bei der Weltmeisterschaft und dreimal Gold geholt – mit dem Slogan „Vegan Power“ auf dem ­T-Shirt. „Das war der ­allergrößte Erfolg meiner Karriere“, sagt sie. Dass sie zwei Teamkollegen durch ihre Performance dazu animieren konnte, die vegane Lebensweise selbst auszuprobieren, ist für Claudia Grammelspacher ein weiteres Plus. Viele Experten sehen die eigene Überzeugung übrigens als wichtiges Element für die Leistungsfähigkeit: Wer sich zu veganer Ernährung nur überreden lässt, erfährt offenbar weniger positive Effekte als Sportler, die sich aus eigenem Antrieb dafür entscheiden.
Schritt für Schritt ging der Unternehmer und Gastronom Holger Stromberg vor, der die Deutsche Fußballnationalmannschaft zehn Jahre lang als Koch und Ernährungscoach begleitete. Zu Komplett-Veganern hat er die Fußballer nicht gemacht, aber dafür gesorgt, dass der nicht-tierische Speisenanteil im Trainingslager und bei großen Turnieren deutlich zugenommen hat. „Ich habe die tierischen Produkte nach und nach reduziert, etwa Reismilch tierischer Milch vorgezogen, da tierische Fette gerade bei hoher Temperatur den Körper belasten“, sagt Stromberg.
Inzwischen wird das tierische Eiweiß häufig als Risikofaktor identifiziert; nicht nur für Gefäßerkrankungen, sondern auch für Entzündungen. Das geht u. a. aus der Nurses’ Health Study hervor, einer US-amerikanischen Längsschnittstudie. Demnach sinkt das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Krebs, wenn tierisches durch pflanzliches Eiweiß ersetzt wird.


Weniger Verletzungen,geschmeidigere Faszien

„Wir nehmen daher an, dass eine vegane Ernährung auch zu weniger Verletzungen und Schmerzen führt“, sagt Andreas Michalsen, Professor an der Charité-Universitätsmedizin Berlin. „Auch die Faszien und deren Geschmeidigkeit scheinen von pflanzlicher Ernährung zu profitieren“, sagt Michalsen.
Kein Zweifel: Gut durchdachte und breit gefächerte vegane Ernährung und Sport auch auf hohem bis höchstem Niveau harmonieren hervorragend – und bieten auch reinen Freizeitsportlern viele Vorteile.


Mythos Protein

Zum Aufbau von Muskelmasse braucht unser Körper ausreichend Eiweiß.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt Erwachsenen zwischen 18 und 65 Jahren, täglich 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht aufzunehmen, Leistungssportler benötigen die doppelte Menge. Immer wieder wird behauptet, tierisches Eiweiß sei „das bessere“. Richtig ist, dass tierisches Eiweiß dem menschlichen Protein von seiner Struktur her näher kommt als pflanzliches. Das Eiweiß aus einem Ei kann unser Körper zu fast 100 Prozent verwerten, während das Protein aus Hülsenfrüchten, Nüssen, Brokkoli oder Tofu nur zu 40 bis 60 Prozent genutzt werden kann. Einen Beleg dafür, dass das beste Eiweiß zwangsläufig in Fleisch, Fisch, Milch und Eiern steckt, gibt es jedoch nicht. Im Gegenteil: Eine 2016 im Fachmagazin „Jama Internal Medicine“ erschienene Studie kommt zu dem Schluss, dass die Aufnahme von tierischen Proteinen die Lebenserwartung verkürzen kann. Eine größere Chance, gesund alt zu werden, haben demnach diejenigen, die sich von pflanzlichem Eiweiß ernähren.

 

Nährstoffe für Sportler

Abhängig von der Sportart, der Intensität des Trainings und des Körpergewichts benötigen Sportler mitunter mehr von bestimmten Nährstoffen als Nichtsportler.

Grundsätzlich gilt: Kohlenhydrate und Fette geben Energie, Prote­ine sorgen für Muskeln. Über den Schweiß gehen viele Mineralstoffe wie Natrium, Kalium, Kalzium, Magnesium und Eisen verloren. Die führt man sich am besten mit verdünnten Obst- und Gemüsesäften nach dem Sport zu. Ein ideales Mischungsverhältnis ist ein Teil Saft auf zwei Teile Wasser. Während Kohlenhydrate und Fette am besten vor dem Training verzehrt werden, gilt für die Eiweißzufuhr: idealerweise unmittelbar nach dem Training. Denn dann beginnt der Muskelaufbau, für den das Eiweiß nötig ist. Ein Speiseplan aus grünem Blattgemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen, Samen und Kernen sowie Obst und Gemüse versorgt bestens mit allen Nährstoffen. Um Mängeln vorzubeugen, empfiehlt sich einmal jährlich ein ärztlicher Check-up.

 

Nahrungsergänzungsmittel

Wer sich vollwertig vegan ernährt, braucht keine zusätzlichen Stoffe. Einzige Ausnahme: Vitamin B12.
Heftig diskutiert wird derzeit, ob man den Menschen in Deutschland zu einer Supplementierung mit Vitamin D raten sollte, das beträfe aber nicht nur die Veganer. Alle anderen Nahrungsergänzungsmittel – abgesehen von Vitamin B12, welches auf jeden Fall ergänzt werden sollte – sind nach jetzigem Kenntnisstand nicht notwendig, um bei rein veganer Ernährung Gesundheit zu erhalten oder Fitness zu fördern. Das „natürliche Paket“ in Form von Obst, Gemüse, Beeren oder Nüssen passt immer.


// AUF EISEN ACHTEN //

Interview mit Hans Braun von der Abteilung Sportlerernährung an der Deutschen Sporthochschule Köln

 

Herr Braun, kann ein Leistungssportler sich vegan ernähren und die gleiche Leistung bringen wie eine Mischköstler?

Warum nicht? Um es mal stark vereinfacht zu sagen: Unsere Zellen wissen nicht, ob das Essen auf dem Teller vegan ist oder nicht, sie wollen ihre Kohlenhydrate, Proteine und Fette, denen ist erst einmal egal, woher das kommt. Leistungsfähigkeit ist etwas sehr Komplexes, das nicht allein aufs Essen zurückzuführen ist, da spielt zum Beispiel auch die mentale Einstellung eine Rolle.

Worauf sollten Sportler achten, die sich vegan ernähren?

Wir schauen mit dem physiologischen Blick auf das Ganze: Was ist die Besonderheit in der Ernährung von Sportlern? Das sind vor allem die Aspekte: höherer Bedarf an Energie, Kohlenhydraten, Eiweiß und Flüssigkeit. Das bekommt man durchaus auch alles aus pflanzlicher Nahrung, aber es erfordert eine durchdachte Planung des Essens. Will ich zum Beispiel die gleiche Menge an Energie mit pflanzlichen Mitteln aufnehmen, ist das Volumen im Regelfall höher, das muss ich erst einmal alles essen können. Solche Dinge sollte sich der vegan lebende Sportler klarmachen, und auch, dass es evtl. mehr Zeit erfordert, die Dinge daheim zuzubereiten. Einfach ins Restaurant gehen ist in dem Fall ja schwierig. Kochzeit geht aber von der Erholungszeit ab. Solche Fallstricke muss man im Auge behalten.

Welche Mikronährstoffe sind besonders wichtig?

Das ist zum einen B12, das wissen aber die meisten vegan lebenden Menschen, dass sie darauf achten müssen. Was vielen nicht klar ist: Der Eisenhaushalt wird stark vom Sport beeinflusst. Es gibt durchaus nennenswerte Verluste dieses Mineralstoffs durch Schweiß und Mikroblutungen. Sportler sind davon besonders häufig betroffen, weibliche Sportler noch mehr. Vor allem kann ein Eisenmangel bei Ausdauer- und Teamsportarten auftreten.