Vegan statt Plastik

Müssen Veganer diesen ganzen Verpackungswahnsinn eigentlich mitmachen? Ein weites Feld, auf das sich unser Autor Ulrich Bender begeben hat...

von Ulrich Bender

FOTO: SHUTTERSTOCK.COM/PE DRA; ©HALFPOINT - STOCK.ADOBE.COM


Plastik und anderer Kunststoff hat sich dermaßen breitgemacht,

dass es ein Graus ist - bis hinein die Weltmeere. Kann man als Veganer gegensteuern? 

Vor kurzem war es soweit. Auslöser war ein sanft zu mir herüber getragener Duft von gebratenen Gewürzen und heißem Fett aus einer Pommesbude. Unwiderstehlich. Ich bekam spontan Bock auf Wurst bzw. auf einen Geschmack, der sich in meinem Langzeit- Geschmacks-Gedächtnis bequem gemacht hat. Mir war nach scharf angebratenem, würzig knusprig und saftigem Irgendwas. Für einen Augenblick hatte ich das Bild eines mit krossgebratener Fettkruste gegrillten Steaks vor den Augen – und vor der Nase. Sanft durchs Fett säbeln. Toll. In meinem Tagtraum grinste ich debil, als sich Fettspritzer und Blutsäfte zischend auf Hemd und Hose verteilten. Ich wollte nochmal das Glück des vollkommenen Geschmacks einatmen. Der Speichel schoss mir horizontal aus dem Rachen, meine Augen leuchteten. Ich sabberte und dann, bevor mir die Bilder von Leichenbergen totgeschlagener Tiere und ausgemergelter Menschen in den Sinn kamen, muss ich ohnmächtig geworden sein. Wahrscheinlicher noch – ich war eingeschlafen. Aber die ursprüngliche Vision und der Gedanke an das Geschmackserlebnis waren noch da. Gesättigt war ich noch nicht. Was tun? Nein, nicht das Steak – die Wurst war’s, genauer, die Currywurst … Früher hatte ich einmal jährlich eine Currywurst gegessen und damit in Kauf genommen, dass mir nicht nur speiübel wurde, sondern ich mich noch Monate später mit straff geblähtem Bauch und einem strengen Völlegefühl durch die Gegend wuchten musste. Eine Currywurst musste her.


unpraktisch eingeschweisst

Ich weiß, dass es ein veganes Komplett-Currywurst-Fertigprodukt gibt, das als Ersatzbefriedigung aber nur in äußersten Notfällen taugt. Wirklich nur dann. Dieses Produkt ist, wie fast alle veganen Fleisch-, Wurst- und Käseersatzprodukte, in eine besonders hartnäckige und stabile Folie eingeschweißt und jeder, der sich dem Inhalt nähern will, macht sich, während eines immens kräftezehrenden Öffnungsvorgangs, die Hände unglaublich fettig, schneidet sich kräftig in Finger und verspritzt en passant den Großteil des Inhalts in alle Küchenwinkel – und in jede Hemd- und Hosenfalte. Bei der Currywurst und bei unzähligen anderen eingeschweißten veganen Fertiggerichten darf gerne davon ausgegangen werden, dass eine Hälfte (meistens die flüssige) außerhalb der Packung landet bzw. während des Öffnens größtmöglichen Schaden in der unmittelbaren Umgebung anrichtet, während die andere Hälfte, wenn’s schlecht läuft, im Mund, im Magen oder im Darm Unheil verursacht. Das könnte besser gelöst werden. Wie das bei Verpackungen für Fleisch- und Wurstprodukten aus Tierleichen heute ist, dass kann ich nur vermuten. Nur zufällig streift mein Blick noch ab und an die Auslagen der klassischen Fleisch- und Käsetheken im Supermarkt. Da liegen sie dann, die elend gestorbenen Schweine und Rinder, sauber filetiert und unverpackt angeboten, ein Anblick, für den ich mich immer schämen werde – der mir aber beweist, dass nicht nur Obst und Gemüse verpackungsfrei angeboten werden können.


gigantisch dicke folie

Natürlich gibt es auch Milliarden Tierteile, die verpackt in Kühltruhen liegen, weil sie unverpackt schneller verwesen – im Gegensatz zu den pflanzlichen Produkten, die sich weniger flott verwandeln. Aber gerade die sind in der Regel meterdick in knallharter Betonfolie verpackt. Warum sind die Hersteller nicht so konsequent und präsentieren eine Thekenalternative mit nichteingeschweißter Vurst, Vrikadellen und vrischem Vleisch? Wäre vielleicht logistisch anspruchsvoller, unbequemer und sogar teurer – aber die Buddys der Fleischindustrie schaffen das doch auch! Und drei Pflanzenfrikadellen oder drei Pflanzensteaks finden locker in einer Papiertüte Platz. Eingelegte Vurstwaren lassen sich prima in die mitgebrachte Bentobox oder ins Tupperteil packen. Ab ins Körbchen und alles ist gut. Aber ich hege einen Verdacht: Ich vermute, dass es für die veganen Ersatzprodukte besonders irregeleitete Verpackungshersteller gibt, die einen Folien-Deal mit der NASA, dem Pentagon oder einen anderen teuflischen Pakt mit Kollegen aus der Tiefe geschlossen haben. Hier, an der Schnittstelle zur Etablierung einer neuen Ernährung – das ist meine Theorie – werden Kunststoffe getestet, die sich auch für Weltraumabenteuer eignen sollen. Diese Kunststoffe müssen a) ein absolutes Vakuum garantieren, b) gegen spitze oder scharfe Gegenstände völlig resistent sein, c) ein Haltbarkeitsdatum bzw. ein Zerfallsdatum von mehreren Millionen Jahren aufweisen und d) damit ganz einfach so umweltegal wie möglich sein. Darüber hinaus muss die Folie – aus welchen Gründen auch immer – gigantisch dick sein.

"jute statt plastik"

Ich habe unlängst damit begonnen, die Folien von veganen Wurst- und Fleischersatzprodukten zu sammeln: Bis zum nächsten hohen Feiertag werde ich ein Lötverfahren entwickelt haben, mit dem ich auch die robustesten Folien unter ihnen zusammenschweißen kann. Mit ein wenig Übung könnte ich mir dann einen selbstzusammengeschweißten Taucheranzug schenken, mit dem ich auch ohne Weiteres durch offene Brandherde laufen und unversehrt einen Atomkrieg überleben kann. Ich werde diese Superfolie patentieren lassen und der Autoindustrie anbieten. Ich bin mir sicher, dass mir die Bosse den unkaputtbaren Stoff aus den Fingern reißen werden. Vielleicht finde ich noch heraus, in welchem Flügel des Pentagons die Folien für vegane Wurst- und Fleischprodukte entwickelt werden, und kann mich – falls mal ein Meterchen Folie fehlt, um mir eine Brücke oder ein Schiff zu bauen – an die obersten Militärs wenden. Ich werde so frech sein und einfach eine E-Mail schreiben, die ich irgendwohin versende – dann kann ich davon ausgehen, dass meine Botschaft ohne Umweg bei den amerikanischen Behörden für Sicherheit und Heimatschutz ankommt. Bei diesen Gedanken werde ich immer ein bisschen sentimental und erinnere mich daran, wie der Nahrungsmittel-Verpackungs-Plastik-Irrwitz so richtig ans Laufen kam: Kaum hörte ich (es muss in den 1970ern gewesen sein) zum ersten Mal den Satz „Jute statt Plastik", wurde er schon lächerlich gemacht und im Zuge einer wahrscheinlich von der Verpackungslobby lancierten Lächerlichkeitskampagne entstanden neben der heute geschmähten Plastiktüte die ersten Kartonverpackungen mit Plastikschraubverschluss – eine Entwicklung, die mich bis heute fassunglos macht.

getränkekartons mit schraubverschluss - warum?

Die ersten Getränkekartons mit Schraubverschluss entdeckte ich in den Niederlanden. Ein Land, in dem wir nicht nur unsere Urlaube verbrachten, sondern das sich, was subtile Umweltfrevel betrifft, in der Vergangenheit immer wieder prima ins Zeug gelegt hat. Ich erinnere an dieser Stelle gerne an die extrem großen, ballonartigen und absolut geschmacksneutralen Supertomaten, die in fußballstadiengroßen Gewächshäusern so gezüchtet wurden bzw. werden, dass die eine genauso aussieht wie die andere. Es war unglaublich – hatte ich doch jahrelang (nach einem Ausrutscher Anfang der siebziger Jahre, als Milch in schwabbeligen Plastikschläuchen verkauft wurde, für die man wiederum einen Behälter benötigte, aus dem zu schütten ohne Totalverlust des Schlauchinhalts unmöglich war) mit den bis dahin so einfach produzierten Getränkekartons prima leben können. Jeder hatte und hat eine Schere zuhause. Ausnahmslos. Jeder. Mit einem Schnitt wurde der oberste Zipfel des Getränkekartons entfernt, Schere zurück in die Schublade, Kartonschnipsel wegwerfen, Getränk ausschütten, Lasche umknicken und zurück in den Kühlschrank. Hält! Ist das so schwer? Haben wir jahrelang gemacht. Dann kam der Schraubverschluss. Warum? Jeder Getränkekarton – sogar niedliche kleine Sojasahne-Kartönchen – besitzen heute einen fetten Plastikschraubverschluss. Auf Milliarden von Plastikschraubverschlüssen, die wahrscheinlich bei den Bewohnern der Weltmeere ähnlich beliebt sind wie die kontinentalplattengroßen Plastiktütenansammlungen, könnte man von heute auf morgen verzichten – und würde nichts verlieren. Und das Schärfste ist: Dreht man den Schraubverschluss mit einem Knack auf und verletzt sich dabei oder nicht, findet man unverzüglich einen zusätzlichen Plastikring, an dem eine Aluminium- lasche hängt, die wiederum aufgerissen werden muss. Wer diese kleine Aluplastikborniertheit, ohne bis über beide Ohren vollgespritzt zu werden, aufreißen kann, möge sich bitte bei mir oder bei der Redaktion des Guinness-Buchs für Kleinst-Rekorde melden. Was ist daran Fortschritt, was ist daran einfach, was ist daran freundlich für die Welt, was soll das? Es ist komplizierter, teurer, umweltfrevelhafter – und überflüssig.

fleisch- und käse-ersatz…?

Haben wir Veganer nicht eine Verpflichtung, so wenig wie möglich Müll und wenn, dann so abbaubar wie möglich zu produzieren? Kann nicht die vegane Pflanzenmilch in einfachen Kartons ohne Schraubverschluss und ohne Aluspritzlasche verkauft werden? Kann nicht auch der vegane Käse, der sowieso nicht so abscheulich riecht wie viele der Tierkäsesorten, wesentlich länger haltbar ist und auch ohne Verpackung gut aussieht, wenigstens einen abgetrennten Teil der sowieso vorhandenen Käsetheke vereinnahmen und verpackungsreduziert oder -frei verkauft werden? Klar, die Scheiben trocknen rasend schnell und nehmen dabei merkwürdige Formen an – aber angesichts einer fantastisch großen Auswahl an Konservierungsmitteln sollten die Hersteller hier nicht geizen und ein wenig nachhelfen, um den Produkten mithilfe veganer Zusatzstoffe einen Hauch von Frische einzuimpfen. Das machen die Tierverwerter doch schließlich auch, wenn auch nicht mit veganen Hilfsmitteln. Derjenige, der über den Geschmack bzw. über die Gesundheit zur veganen Ernährung finden will und erst einmal zu Fleisch- und Käseersatz greift, wird es schwer haben – weil er nicht nur keine frischen Produkte findet, sondern auch an der beinharten und unverwüstlichen Verpackung scheitert.

strengt euch an!

Einige Produkte scheinen bewusst von der Fleischindustrie auf den Markt geworfen zu werden, um potenzielle Vegan-Aspiranten schnell zur Umkehr zu bewegen. Es gibt Beispiele, die den Verdacht nahe legen, dass die Fleischlobby ihre Finger im Spiel hat und sowohl Verpackung als auch Geschmack und Aussehen der Produkte so steuert, dass sich der Neuveganer mit Grausen abwendet. Wer einmal ein völlig überteuertes, aber unzerstörbar verpacktes und im schlimmsten Fall geschmacklich grenzwertiges Stück veganes Fleisch, vegane Wurst oder veganen Käse zu sich nahm, oder es versuchte, den haben wir verloren. Vielleicht für immer. Falls sich nicht irgendwann sein Gewissen meldet und er den Einstieg mit Obst und Gemüse versucht.

 

Mein Appell: Strengt euch an! Lasst die Verpackungen so weit wie möglich verschwinden. Liebe Produzenten aus der Pflanzen- oder meinetwegen auch aus der Fleischwelt: Wenn ihr ein veganes Fleisch- oder Käseprodukt erstellen wollt, denkt über die weitreichenden Folgen eures Tuns nach, erstellt die Vurst oder den Käseersatz so, dass die Geschmacksnerven nicht beleidigt werden, ersetzt nicht einen Plastikskandal durch einen noch schlimmeren und produziert unsere Lebensmittel so, dass sie fair, erschwinglich und easy to handle sind – oder lasst es sein! Dann belassen wir es bei Obst, Gemüse und Kartoffeln. Aber wenn schon rundum verpackt, dann versucht es doch mal mit Bio-Kunststoff aus Hanf – selbst wenn der andere Müll billiger sein sollte. Oder nehmt doch mal Jute. Statt Plastik.

 

Mittlerweile bieten Unverpackt-Läden gute Alternativen zum allgemeinen Verpackungswahnsinn.

Aber nicht nur dort kann man einen Beitrag gegen totale Vermüllung leisten.