
ein blick auf den stand der dinge - und in unser erbgut
Rein pflanzliche Ernährung bietet viele Vorteile, aber werden wir damit sicher gesünder älter? Auch wenn es noch keine handfesten, durch jahrzehntelange Studien untermauerten Belege gibt: Vieles spricht mittlerweile dafür. Eine Bestandsaufnahme
von Claudia Füßler und Dirk Müller
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das altern verlangsamen
Wer tierische Produkte von seinem Speiseplan streicht, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem längeren Leben belohnt: Das wäre mal eine sehr deutliche Ansage. Allerdings keine, die seriöse
Wissenschaftler im Jahr 2017 so pauschal unterschreiben würden. Und bis die Zeit reif sein könnte für einen schlüssigen, unangreifbaren Beleg, sind Studien über mehrere Jahrzehnte nötig, die
vegane Lebensläufe in großer Anzahl mit omnivoren vergleichen. Dass vegane Ernährung bestimmte Risiken eines vorzeitigen Todes senkt und viele positive Gesundheitsindikatoren aufweist, gilt
jedoch bereits heute als erwiesen.
Doch der Reihe nach: Vereinfacht gesagt gelten für ein langes Leben zwei Grundvoraussetzungen. Zum einen darf man sich keine Krankheit einhandeln, die unabwendbar zum Tode führt. Zum anderen
müssen die Körperzellen so fit bleiben, dass der natürliche Alterungsprozess möglichst langsam verläuft. Kann das mit einer veganen Ernährung gelingen? „Wenn man die zwei größten Studien
betrachtet, die sich explizit mit dem Thema Langlebigkeit beschäftigen, findet man zwei unterschiedliche Aussagen“, sagt die amerikanische Ernährungsexpertin und Buchautorin Brenda Davis. „Die
sogenannte EPIC-Oxford-Studie findet keine großen Unterschiede, während die berühmte Adventisten-Gesundheits-Studie eine um 15 Prozent geringere Sterblichkeit der Veganer festgestellt hat, sogar
im Vergleich zu insgesamt sehr gesund lebenden Fleischessern.“ Vor allem Männer profitieren demnach von einem Leben ohne tierische Produkte, ihr Risiko vorzeitiger Sterblichkeit sank um 28
Prozent. Ein solches Ergebnis findet sich so deutlich jedoch in keiner zweiten Studie.

DEUTLICHE ANZEICHEN
Dass die Ernährung generell einen erheblichen Einfluss auf unsere Chancen hat, länger gesund und gesünder alt zu werden, ist wissenschaftlich nicht mehr umstritten. Gemüse, Obst, Nüsse,
Hülsenfrüchte, Vollkorngetreideprodukte: „Wer solche ernährungsphysiologisch günstigen Lebensmittel wählt, kann damit seine Gesundheit positiv beeinflussen“, sagt Silke Restemeyer von der
Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). „Beobachtungsstudien haben gezeigt, dass eine hohe Zufuhr von ballaststoffreichen Lebensmitteln viele Krankheitsrisiken senken kann“, sagt die
Ernährungswissenschaftlerin. Das gelte etwa für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes Typ II.
Dr. Michael Greger geht ein ganzes Stück weiter: Der US-amerikanische Arzt, Ernährungswissenschaftler und Gründer des Informationsportals NutritionFacts.org widmet sich in seinem Buch mit dem
griffigen Titel „How Not to Die“ (Unimedica, 24,80 Euro) ausschließlich rein pflanzlichen Nahrungsmitteln, die, wie schon der Buchtitel verheißt, „Ihr Leben verlängern und bewiesenermaßen
Krankheiten vorbeugen und heilen“. Eine Anmaßung? Mangelnde Sorgfalt kann man Dr. Greger und seinem Team jedenfalls nicht unterstellen – 111 Seiten seines knapp 500 Seiten starken Werks bestehen
aus einem Anhang wissenschaftlicher Quellen. Das Buch ist die Essenz dessen, was Greger und sein Team auf NutritionFacts.org seit vielen Jahren an Wissen zusammentragen, und die Website wächst
unentwegt weiter. Das Prinzip ähnelt dem Online-Lexikon Wikipedia: Es wird nichts verkauft, sondern Wissen - hier mit dem Schwerpunkt auf Ernährung und Gesundheit - umfassend vermittelt.

Telomere
Die Endstücke der Chromosomen – die Erbgutträger in unseren Genen – nennt man Telomere. Sie haben bei der Geburt eine gewisse Länge und werden von da an bei jeder Zellteilung kürzer: Die Zelle altert. Die Länge der Telomere gibt also ziemlich genau das biologische Alter eines Lebewesens an. Doch es gibt Möglichkeiten, die Enden der Telomere vor einem frühzeitigen Ausfransen zu bewahren

Antioxidantien
Eine chemische Verbindung, die die Oxidation einer anderen Substanz verlangsamt oder ganz verhindert, wird Antioxidans genannt. Obwohl die Oxidation ein
lebenswichtiger Vorgang in unserem Körper ist, können dabei auch zellschädigende freie Radikale entstehen.
Antioxidantien können davor schützen
15 Todesursachen, 12 Gegenmittel
In seinem Buch listet Greger die 15 häufigsten Todesursachen in den USA auf, von Koronarer Herzerkrankung bis Parkinson. Jeder Krankheit widmet er ein ausführliches Kapitel, beschreibt Ursachen
und Verläufe und nennt jeweils eine Fülle rein pflanzlicher Nahrungsmittel mit ihren für die jeweilige Erkrankung vorbeugenden, hemmenden oder heilenden Auswirkungen. In Teil zwei stellt er sein
„Tägliches Dutzend“ vor: eine Zusammenfassung jener nach heutigem Wissensstand besonders gesundheitsfördernden und -erhaltenden Nahrungsmittel, die er für den täglichen Verzehr empfiehlt. Wobei
Nummer zwölf kein Nahrungsmittel ist, sondern einfach „Bewegung“ lautet. Dr. Greger empfiehlt täglich 90 Minuten moderate oder 40 Minuten anspruchsvolle körperliche Aktivität.
Am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) ist man einem weiteren möglichen Faktor auf der Spur. „Wir glauben, dass der Glukosestoffwechsel eine Rolle beim Thema Langlebigkeit spielt“,
sagt DIfE-Präsident Prof. Dr. Heiner Boeing. Dafür sei entscheidend herauszufinden, wie der Mensch mit Glukosepeaks umgeht, also den Situationen, in denen der Glukosespiegel ernährungsbedingt
Spitzenwerte erreicht. „Wenn Sie permanent solche Peaks haben, kann das in einem gestörten Glukosestoffwechsel enden, und der wiederum kann Krankheiten wie Diabetes begünstigen.“ Vollwertige
Lebensmittel mit vielen Ballaststoffen und ausgeglichener Nährstoffverteilung verursachen weniger Glukose-Hochs als solche mit viel Zucker.
vegan geht auch ungesund
Apropos viel Zucker – süß und ungesund geht wunderbar auch vegan, wie die sogenannten „Puddingveganer“ beweisen: Sie ernähren sich ausschließlich aus ethischen Gründen vegan, ohne auf den Gesundheitsaspekt ihrer Ernährung zu achten. „Die meisten Veganer ernähren sich nicht gesund, sondern nehmen viele leere Kalorien in Form von Öl, Süßungsmitteln, Weißmehlen und verarbeiteten Produkten zu sich, was oft zu einem Mangel an wichtigen Nährstoffen führt“, sagt Joel Fuhrman, US-amerikanischer Arzt und Verfechter eines Ernährungsstils, der reich an Mikronährstoffen ist. Fuhrman empfiehlt unter anderem, ähnlich wie Greger, besonders viele Saaten und Nüsse zu verzehren und so die Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren zu steigern. Die stünden Studien zufolge im Zusammenhang mit einer erhöhten Lebenserwartung. „Wenn Sie zudem darauf achten, Nahrungsmittel mit vielen sekundären Pflanzenstoffen und Antioxidantien zu essen, erhöht das die Nährstoffdichte Ihres Speiseplans und versorgt Sie mit einem großen Spektrum von Stoffen, die antikanzerogen wirken können“, sagt Fuhrman. Zudem empfiehlt er einige Nahrungsergänzungsmittel, dazu gehören Vitamin B12, Vitamin D, meist auch Docosahexaensäure (DHA), die zu den Omega-3-Fettsäuren gehört, allerdings für den Körper schwer zu bilden ist, und – falls man keine Algen verzehrt – Jod.
Antworten im Erbgut
Gesunde Ernährung, Bewegung: Verhindern diese Essentials „nur“ Krankheiten? Oder machen wir unsere Zellen damit sogar fit für ein langes Leben? Die Antwort führt in unser Erbgut, genauer zu dessen Trägern, den Chromomen. Sie sind Teil unserer Gene. Die Endstücke der x-förmigen Chromosomen heißen Telomere. Sie haben eine bestimmte Länge und werden im Laufe unseres Lebens immer kürzer. Eigentlich müsste dies mit jeder Zellteilung geschehen, denn das Verdoppeln der DNA nimmt bestimmten Platz in Anspruch, wodurch die Vorlage nicht komplett kopiert werden kann und das genetische Programm nach und nach verloren geht. Doch offenbar lässt sich die Länge der Telomere beeinflussen.
Lebenswichtiger Schutz
Elisabeth H. Blackburn von der Universität Kalifornien in San Francisco und Jack W. Szostak vom Massachusetts General Hospital in Boston entdeckten die Telomere schon in den 1970er-Jahren und wiesen ihre lebenswichtige Schutzfunktion für die Zellen nach – ähnlich wie die Plastikkappen am Ende von Schnürsenkeln: Werden die Plastikkappen zerstört, franst der Schnürsenkel aus und kann seine Aufgabe nicht mehr erfüllen. Sind die Telomere nach vielen Zellteilungen so kurz, dass sie die Chromosomen nicht mehr schützen können, teilt sich die Zelle nicht mehr. Dieser Zustand wird als „Seneszenz“ bezeichnet. Mit fortschreitendem Lebensalter gibt es in unserem Körper immer mehr solcher seneszenter Zellen, die den Verlust von Gewebe und Organversagen begünstigen und letzlich zum Tod führen.
telomerase - das Enzym gegen den Tod
Unabwendbares Schicksal? Carol W. Greider von der Johns Hopkins School of Medicine in Baltimore identifizierte in den 1980er-Jahren ein Enzym, das diese Enden immer wieder auffüllt. Es erhielt
den Namen Telomerase und verhindert den Alterungsprozess. Kein Wunder, dass Telomerase euphorisch mit ewiger Jugend und Unsterblichkeit in Zusammenhang gebracht wird. 2009 wurde Blackburn,
Szostak und Greider für ihre Entdeckungen der Nobelpreis für Medizin verliehen.
Ewige Jugend? Zumindest steht bereits heute fest, dass Menschen, die sehr viel Stress haben, kürzere Telomere haben als solche, deren Leben sich in ausgeglichener Balance befindet. Auch Rauchen
und Alkohol machen den wertvollen Chromosomen-Enden schneller den Garaus. Eine Schutzfunktion für Telomere werden B-Vitaminen zugeschrieben, die sich vor allem in Nüssen und Vollkornprodukten
finden. Omega-3-Fettsäuren, Vitamin D, Antioxidantien und Sport in Form eines regelmäßigen Trainings sollen sich ebenfalls positiv auf die Telomere-Länge auswirken.
So sind wir – neben Sport und Bewegung als ebenfalls entscheidendem Aspekt – wieder bei der Ernährung als Schlüssel für ein langes, zufriedenes, körperlich und geistig gesundes Leben. Und vieles
spricht dafür, dass eine rein pflanzliche derjenige Schlüssel ist, der am besten passt.
// DAS TÄGLICHE DUTZEND //
Dr. Michael Gregers Empfehlungen: Was uns wirklich gesund hält
Der Arzt und Ernährungswissenschaftler empfiehlt in seinem Buch „How Not to Die“ für jeden Tag diese elf Nahrungsmittel (plus Bewegung): 1. Hülsenfrüchte, 2. Beeren, 3. weitere Obstsorten, 4. Kreuzblütlergemüse (v. a. Kohlsorten), 5. grünes Blattgemüse, 6. anderes Gemüse, 7. Leinsamen, 8. Nüsse und andere Samen, 9. Kräuter und Gewürze, 10. Vollkornprodukte, 11. fünf Gläser Getränke, v. a. Wasser und Tee, 12. Sport und Bewegung. Außerdem als Nahrungsergänzung Vitamin B12- und -D-Präparate