Interview mit Ria Rehberg: „Tierliebe und ethische Überlegungen!"

FOTO: PILLATH PHOTOGRAPHY

In dieser Serie befragt Chefredakteur Dirk Müller Persönlichkeiten aus der veganen Welt. Nicht die Tagesaktualität steht im Vordergrund – sondern inspirierende Lebensläufe


ZUR PERSON:

RIA REHBERG

 

Die 33-jährige Tierrechtlerin war viele Jahre das bekannteste Gesicht von „Animal Equality“ Deutschland. Mittlerweile ist sie Geschäftsführerin der Non-Profit-Organisation „Veganuary“ mit Hauptsitz in London: www.veganuary.com

 


Liebe Ria, unsere Einstiegsfrage lautet immer: Hast Du einen Lieblingstee und wenn ja, welchen?

Definitiv Grüner Tee. Was für andere Leute der Kaffee am Morgen ist, ist für mich ein guter Sencha oder Gunpowder-Tee. Das hat ehrlich gesagt ganz praktische Gründe: Von Kaffee kriege ich Herzrasen und schwarzen Tee mag ich nicht. Daher bleibt für Morgenmuffel wie mich dann nur noch Grüntee, um morgens in Schwung zu kommen.

 


Blicken wir zurück ins Jahr 2010: Du warst Anfang 20, studiertest in Madrid, hattest einen großen Freundeskreis und immer etwas vor. Was hat dich damals plötzlich bewogen, vegan zu werden und dich für Tierrechte einzusetzen?

Das war eine Mischung aus Tierliebe und ethischen Überlegungen. Ich hatte schon immer ein großes Herz für Tiere und habe in Spanien mit den zahlreichen Straßenhunden- und katzen mitgelitten, die da oft ein wirklich trauriges Leben führen. Gleichzeitig gab es damals über soziale Medien immer mehr Einblicke in die Hintergründe der Massentierhaltung und auch wenn ich damals deutlich weniger wusste als heute, so war mir doch bewusst, dass kein Tier freiwillig in den Schlachthof geht. Die Entscheidung vegan werden zu wollen und mich für Tierrechte einsetzen zu wollen, ist dann aber ganz nüchtern und rational gefallen. Ich wollte einfach kein Mensch sein, der vor Ungerechtigkeiten die Augen verschließt, nur weil diese in unserer Gesellschaft gebilligt oder als normal betrachtet werden. Und das millionenfache Töten von Lebewesen, die genauso liebenswürdig und schlau wie meine Katze oder mein Hund sind, gehört da für mich auf jeden Fall dazu.

 

Dein Weg führte dann 2012 zum deutschen Ableger von Animal Equality, der sich gerade in Gründung befand, und schon bald warst du Vorstandsmitglied. Kann man sagen, du bist dort zur Vollzeit-Tierrechtlerin geworden?

Ich habe auch schon vor Animal Equality mit einer lokalen Gruppe in Regensburg Aktionen organisiert und mich für dieses Thema eingesetzt, aber zu der Zeit gleichzeitig noch studiert. Der Abschluss meines Studiums und die Gründung von Animal Equality erfolgten dann mehr oder weniger zeitgleich und ich konnte mich dann tatsächlich zusammen mit den Gründungsmitgliedern Vollzeit dem Aufbau der Organisation widmen.

 


Ein Schwerpunkt von Animal Equality liegt in der Undercover-Recherche und das Filmen von Misshandlung in der Massentierhaltung. Daraus resultieren teils schockierende und verstörende Bilder. Welche Erfahrungen hast du und habt ihr mit diesem eher schocktherapeutischen Ansatz gemacht?

Ich halte die Dokumentation und das Öffentlichmachen der Zustände in der Massentierhaltung weiterhin für eine der wichtigsten und effektivsten Methoden, um Tieren zu helfen. Die Bilder berühren emotional und haben gleichzeitig das Potential politischen Druck aufzubauen und Unternehmen zum Umdenken zu bewegen. Wichtig ist allerdings, dass diese weiteren Schritte auch genutzt und umgesetzt werden und es nicht nur bei den Schockbildern bleibt. Ansonsten kann das schnell zur Abstumpfung führen und ein allgemeines Gefühl von „daran wird sich sowieso nichts ändern“ setzt ein. Deshalb werden in der Regel Alternativen aufgezeigt und denen, die etwas ändern wollen oder sich für Tiere einsetzen, werden Lösungswege geboten oder Unterstützung beim Schritt zur pflanzlichen Ernährung gegeben.


Gehen solche Undercover-Recherchen vor Ort nicht unglaublich an die eigene Substanz? Und was tut man – außer filmen – im Angesicht solch schrecklichen Leids?

Doch, es ist natürlich sehr belastend und traurig mit diesen Situationen und Bildern konfrontiert zu sein, aber ich denke dann immer daran, wie viel schlimmer es ist, dieses Leid tagtäglich ertragen zu müssen. Ich finde es schon belastend nur ein paar Stunden in einer Schweineanlage oder einer Entenmast zu verbringen, die stickige, ammoniakbelastete Luft, der Dreck, die Enge... Die Tiere erleben tagein, tagaus nichts anderes. Und traurigerweise sind das noch ihre geringsten Probleme: Extreme Überzüchtung führt oft zu chronischen körperlichen Schmerzen, Verletzungen durch andere Tiere sind an der Tagesordnung und immer wieder wurden auch Misshandlungen von Arbeitern oder Betreibern dokumentiert, die ihren Frust an den armen Tieren auslassen. Wenn ich dazu beitragen kann, dieses Leid zu stoppen, dann nehme ich die eigene psychologische Belastung gerne in Kauf. Und ehrlicherweise muss ich sagen, dass es auch ein gutes Gefühl ist, zu wissen, dass man selbst dazu beiträgt diese Zustände öffentlich zu machen, manchmal sogar Betriebe zu schließen oder Menschen zum Umdenken zu inspirieren.

 


Du warst für viele Jahre das Gesicht von Animal Equality Deutschland und bist eine bekannte Persönlichkeit weit über die Tierrechtsszene hinaus – unter anderem hast du 2016 eine Rede im Europäischen Parlament gehalten und dazu aufgerufen, das jährliche Einzwängen und Schlachten von Abermillionen Kaninchen zu beenden. Wie war das, in so einem Haus zu sprechen, wie waren die Reaktionen und was hast du damit erreicht?

Damals hat Animal Equality die Initiative des Europaabgeordneten Stefan Eck unterstützt, der sich mit unglaublich viel Herzblut und Hartnäckigkeit dafür eingesetzt hat, dass das Europaparlament schlussendlich für die Abschaffung von Batteriekäfigen von Kaninchen gestimmt hat. Es war damals toll zu sehen wie viel Unterstützung die Kampagne auch innerhalb des Parlaments bekommen hat und die Prozesse dort vor Ort beobachten und darauf einwirken zu können. Frustrierend war aber, dass nach dem positiven Votum des Parlaments sehr wenig passiert ist, leider ein wiederkehrendes Phänomen bei Tierschutzfragen auf europäischer Ebene; die EU-Kommission blockierte jahrelang jegliche Fortschritte. Das positive Gegenbeispiel ist der historische Erfolg dieses Sommers, als die von Compassion in World Farming initiierte Kampagne „End the Cage Age“ tatsächlich von Parlament und Kommission angenommen wurde und nun tatsächlich ein EU-weites Verbot für Käfige in der landwirtschaftlichen Tierhaltung auf den Weg gebracht werden soll. Das wird ein Meilenstein für den Tierschutz und auch wenn ich mir natürlich grundsätzlich wünsche und daraufhin arbeite, dass Tiere gar nicht mehr in der Massentierhaltung gezüchtet und gehalten werden, so bin ich doch realistisch genug zu sehen, dass nur schrittweise Veränderungen uns dahin führen werden.

 


Du hast auch als Fotomodel gearbeitet. Hat der Tierrechtsgedanke dabei auch eine Rolle gespielt? Es gibt ja z.B. von PETA Fotoserien mit Prominenten…

Tatsächlich habe ich wenige Jahre nachdem ich vegan wurde, aufgehört zu modeln, weil es sehr kompliziert wurde, beides miteinander zu vereinbaren. Ich wollte auf dem Laufsteg weder Pelz noch Leder noch andere Tierprodukte zur Schau tragen, diese waren aber damals, besonders im Winter, noch Teil fast jeder Kollektion. Es kam dann einmal zu einer Situation, in der ich extra für einen Job nach München gereist war, bei dem mir zugesichert wurde, ich würde keine Tierprodukte tragen müssen und als ich dann vor Ort ankam, war an jedem Kleidungsstück mindestens ein Pelzbesatz. Das war der Moment, in dem ich dann die Entscheidung traf, der Modewelt den Rücken zuzukehren und bereut habe ich es noch nie.


Mittlerweile bist du Vorsitzende von Veganuary Deutschland, einer Non-Profit-Organisation, die möglichst viele Menschen animieren möchte, sich einen Monat lang vegan zu ernähren. Geht diese neue Aufgabe einher mit der Erkenntnis, dass man viele Menschen eher über geschmacklich konkurrenzfähige Fleisch- und Milchalternativen usw. als über Tierrechtsaktionen für die vegane Idee gewinnt?

Ich war von Veganuarys Ansatz und Arbeit schon lange überzeugt, aber als ich im Januar 2019 zum ersten Mal während des „Veganuary“ – also des veganen Januars – in London war, ist meine absolute Begeisterung für die Mission und Erfolge dieser Organisation entfacht worden. Was dort in England in nur wenigen Jahren erreicht wurde, habe ich so bislang in keinem anderen Land erleben dürfen. Der Januar ist in England tatsächlich zum Monat des Veganismus geworden – hunderttausende Menschen nehmen an der Challenge teil und essen für einen Monat (und auch oft darüber hinaus) vegan, die Medien werden überschwemmt mit Artikeln und Berichten zum Thema pflanzlich essen, zahlreiche prominente Gesichter schließen sich der Aktion an und gefühlt findet man an jeder Ecke Plakate, Werbung auf Bussen oder andere Werbeaktionen großer Firmen, die ihre Vegan-Angebote anpreisen. Am meisten begeistert hat mich aber, dass für den Monat mittlerweile alle großen Supermarktketten mitziehen und neue vegane Produkte auf den Markt bringen, sowie Restaurants ihre Menüs für einen Monat veganisieren und sogar große FastFood-Riesen ihr veganes Angebot ausweiten, von Pizza Hut über Subway zu Burger King oder Starbucks waren mittlerweile alle mit dabei. Intern nennen wir dieses Phänomen den „Veganuary Effekt“, also dass die Auswirkungen der Kampagne weit darüber hinausreichen, was durch die Menschen, die sich bei uns eintragen, um einen Monat vegan zu essen, erreichen wird. Als ich das vor Ort selbst miterlebt habe, war für mich klar: Diese Aktion müssen wir auch in andere Länder bringen und seitdem haben wir offizielle Veganuary-Kampagnen in Deutschland, USA, Chile, Argentinen, Brasilien und Indien gestartet und arbeiten mit Partnerorganisationen an Veganuary-Kampagnen in der Schweiz, Italien, Australien, Frankreich, Singapur und Südafrika.

Zusammenfassend glaube ich, beides ist extrem wichtig: Aufklärung über die Zustände in der Massentierhaltung, sowie positiv angelegte Kampagnen, die Menschen spielerisch an eine pflanzliche Ernährung heranführen und die positiven Aspekte von Veganismus hervorstellen. Und wir bekommen jedes Jahr so viele tolle Zuschriften von Menschen, die uns erzählen, wie sich ihr Leben dank der Umstellung zu vegan verändert hat. Von Menschen, die stark übergewichtig waren und es durch Veganuary geschafft haben sich wieder fit und gesund zu fühlen, chronische Leiden, die Menschen teilweise ihr ganzes Leben lang eingeschränkt haben, die seit der Umstellung verschwunden sind oder auch einfach nur Feedback wie „ich fühle mich viel energetischer“ machen die Arbeit hier zu einer sehr erfüllenden und schönen Aufgabe.

 

Wie wird der Veganuary im Januar 2022 aussehen? Wird es bestimmte Highlights geben und gibt es eine bestimmte Zielsetzung, wie viele Menschen ihr gewinnen wollt?

Wir halten unsere Ziele und Highlights in der Regel so gut es geht bis zum Launch der Kampagne Anfang Dezember geheim, aber ich habe schon jetzt das Gefühl, dass der diesjährige Veganuary alle vergangenen Rekorde brechen wird. Wir haben viele spannende Projekte in Planung und auch von Seite der Unternehmen, die sich jedes Jahr der Kampagne anschließen gibt es schon richtig tolle Projektpläne und Ideen, die derzeit in die Umsetzung gehen. Und wir konnten schon einige wahnsinnig engagierte prominente Menschen gewinnen, die dieses Jahr mit uns richtig Wirbel machen werden.

 

Siehst du unsere Welt auf dem Weg in eine tiefreundlichere und damit auch humanere Zukunft?

Auf jeden Fall! Allein in den letzten 10 Jahren hat sich schon unglaublich viel getan und in der Gesellschaft im Allgemeinen steigt das Bewusstsein für diese Themen stetig an. Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch und angesichts des enormen Leids in der industriellen Tierhaltung kann es natürlich gar nicht schnell genug gehen, gleichzeitig finde ich es aber auch wichtig die Teilerfolge wahrzunehmen und zu feiern und grundsätzlich mit einer positiven Lebenseinstellung an diese Themen heranzugehen.

 

Letzte Frage, weil das Thema immer drängender wird: Ist der Klimawandel noch aufzuhalten?

Ich bin keine Klimawissenschaftlerin und überlasse Prognosen lieber den dazu zuständigen Instituten und Experten. Die Veröffentlichungen von denen sehen in der Regel aber düster aus und mahnen zu schnellen und deutlichen Veränderungen, wenn das 1,5 Grad Ziel noch erreicht und gehalten werden soll. Ich würde mir wünschen, dass in dieser Debatte auch von Seiten der Klimaschützer das Riesen-Thema industrielle Tierhaltung stärker thematisiert wird, denn rund ein Viertel der CO2-Emissionen gehen auf die Landwirtschaft zurück und davon wird ein Großteil von der industriellen Tierhaltung erzeugt. Außerdem ist der Umstieg zu mehr pflanzlichen Alternativen etwas, was jeder Mensch für sich, direkt ab heute tun kann, ohne zu warten, dass die Politik oder Unternehmen endlich aktiv werden. Oft vergessen wir, wie viel Macht wir als Einzelne haben, etwas zu verändern. Ich würde mir wünschen, dass mehr Menschen diese Verantwortung wahrnehmen und sich selbst aktiv für eine bessere Welt stark machen.

 



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