Vegan-Klischee ade!

Fünf Fragen an...

Ernährungswissenschaftler, Seminarleiter und Buchautor Niko Rittenau zu seinem neuen Buch "Vegan-Klischee ade: Wissenschaftliche Antworten auf kritische Fragen zu veganer Ernährung"


Interview: Dirk Müller

FOTOS: © KARSTEN WERNER; PR.


1. Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis zeigt, dass du den doch schon recht breiten Markt an veganer Literatur offenbar nicht einfach um ein weiteres Werk ergänzen willst, sondern eine Art Grundlagenwerk geschaffen hast. Ist das tatsächlich der Anspruch an dein Buch?

 

Ja, das war mein Anspruch. Hätte ich das Gefühl gehabt, dass mein Buch nicht gebraucht wird oder es etwas Ähnliches schon gibt, dann hätte ich es gar nicht erst geschrieben. Ich sehe aber, dass immer noch so viele widersprüchliche Aussagen, Fehlinformationen und Vorurteile in Bezug auf die vegane Ernährung kursieren, dass ich all diese Themen evidenzbasiert und kompakt in einem Buch beantwortet haben wollte. Im Laufe des Entstehungsprozesses wurde das Buch dann immer umfangreicher, so dass es nun letztendlich über 450 Seiten und knapp 1.000 unterschiedliche Literaturverweise umfasst.

 

 

2. Der Titel „Klischee ade!“ lässt erahnen, dass es viele falsche Vorstellungen und Mythen rund um vegane Ernährung gibt. Welche hältst du für die größten und hartnäckigsten – du wie räumst du damit auf?

 

Ich denke, die meisten Fehlinformationen finden sich zum Thema Vitamin B12. Es kursieren hier so viele Widersprüchlichkeiten rund um die Eigenversorgung mit B12 durch Darmbakterien, die Zufuhr über ungewaschenes Gemüse, das Vorkommen von B12 in Algen, die Entstehung von B12 durch Fermentation und vieles Weitere. Nicht alle diese Aussagen sind gänzlich falsch, aber es fehlt in ihrer Betrachtung oft an Tiefe und dem richtigen Kontext, so dass letztendlich dennoch falsche Handlungsempfehlungen davon abgeleitet werden. Das ist auch der Grund, warum alleine das Unterkapitel über Vitamin B12 insgesamt 40 Seiten umfasst und damit auch das umfangreichste Unterkapitel in meinem Buch wurde.

 

3. Das letzte Kapitel lautet „Die Sojakontroverse“. Lässt sich kurz zusammenfassen, was die Leserin/den Leser da erwartet?

Das Kapitel zur Sojakontroverse gliedert sich nach einer kurzen Einführung in 5 Unterkapitel, welche jeweils einem Vorurteil gegenüber Soja gewidmet sind. Die 5 Aussagen beziehen sich auf die angeblich abträgliche Wirkung von Soja auf das Brustkrebsrisiko von Frauen, den Hormonhaushalt von Männern, die Schilddrüsenfunktion, die Entwicklung und Geschlechtsreife von Kindern sowie das angeblich erhöhte Risiko für Alzheimer durch Soja. Zu allen 5 Punkten habe ich nach bestem Wissen und Gewissen den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand zusammengetragen. Hätte sich herausgestellt, dass Sojaprodukte negativ wirken, würde ich dies auch so kommunizieren und stattdessen einfach zum Verzehr all der anderen großartigen Hülsenfrüchte raten. Wie sich allerdings herausstellte, sind Sojaprodukte in den üblichen Verzehrmengen nicht nur unbedenklich, sondern können sogar protektiv auf das Risiko für einige Krebserkrankungen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen wirken.

 

4. Sicherlich eine große Schwäche – auch vieler bereits vegan lebender Menschen – sind Süßigkeiten. Zucker wird in seiner Schädlichkeit bisweilen sogar mit harten Drogen gleichgesetzt. Wie streng sollte man hier mit sich sein, und inwiefern spielt das Thema in deinem Buch eine Rolle?

Das Thema Zucker spielt in meinem Buch lediglich im Rahmen des Kapitels zu Obst eine Rolle, wenn es um die unterschiedliche Wirkung von isolierter Fruktose in Softdrinks und Süßigkeiten im Rahmen einer überkalorischen westlichen Mischkost im Vergleich zur Wirkung von Fruktose in Obst im Rahmen einer isokalorischen pflanzlichen Ernährung geht. Letzteres zeigt in Studien auch bei größeren Verzehrmengen keine negativen Effekte, wohingegen Ersteres das Risiko für eine nicht-alkoholische Fettlebererkrankung und andere Krankheiten erhöhen kann. Das Thema „Zucker" ist in allen Facetten sehr spannend, aber der Fokus des Buches liegt nicht auf Themen wie diesem und es hätte auch aus Platzgründen nicht gepasst. In zukünftigen Büchern werde ich aber noch ausführlich darüber schreiben. Vorab sei aber schon gesagt: Auch beim Thema Zucker geht es wieder mal um die Menge und noch viel wichtiger um die Gesamtheit der Ernährungsmuster, die über Gesundheit und Krankheit entscheiden. Ein Lebensmittel zum Bösewicht zu machen hat noch nie geholfen, weil es der falsche Ansatz ist, und immer die Summe der Lebensmittel betrachtet werden muss.

 

5.  Die Frage „Warum vegan“ wird in deinem Buch sehr ausführlich nach gesundheitlichen Gesichtspunkten beantwortet. Kommen da tier- und humanethische sowie ökologisch-nachhaltige Argumente nicht zu kurz?
Die ethischen und ökologischen Aspekte der veganen Ernährung sind sehr wichtige Themen, aber sie gehören nicht zu meinem primären Fachgebiet und daher überlasse ich diese beiden Themen gerne den jeweiligen Fachleuten. Die Arbeiten von beispielsweise Dr. Richard Oppenlander, Prof. Vaclav Smil, Dr. Toni Meier, Martin Schlatzer und weiteren sind in diesem Bereich besonders hervorzuheben. Im Bereich der Tierethik schätze ich die Veröffentlichungen von Dr. Melanie Joy, Dr. Peter Singer, Hilal Sezgin, Friederike Schmitz und vielen Weiteren sehr und empfehle diese auch oft. Mir ging es aber in „Vegan-Klischee ade!“ darum, ein Ernährungsfachbuch über pflanzliche Ernährung zu schreiben, welches objektiv und unvoreingenommen die Datenlage zu den gesundheitlichen Aspekten der veganen Ernährung beschreibt und sich daher gänzlich auf die Ernährungswissenschaft konzentriert – auch wenn mir als Privatperson selbstverständlich die ethischen und ökologischen Motive sehr am Herzen liegen.

 



vegan-Klischee ade!

Niko Rittenau, "Vegan-Klischee ade! Wissenschaftliche Antworten auf kritische Fragen zu veganer Ernährung", Ventil Verlag, 24,80 Euro