
In der Sonne liegen oder in der Matsch-Suhle baden – das tun die Tiere hier jeden Tag. Und sonst? Nichts. Auf dem Lebenshof können sie einfach leben
von Lisamarie Haas
FOTOS: LISAMARIE HAAS

Sofort kommen die Hunde Kira, Bonzy und Lissy angerannt, um neue Besucher zu begrüßen. Und von ganz hinten macht sich auch das Hängebauchschwein Bonnie gemächlich auf den Weg, um zu schauen, was sich da vorn so tut ...
Wir befinden uns auf dem Erdlingshof im Bayerischen Wald. Auf dem Lebenshof wohnen hauptsächlich aus der Nutztierhaltung gerettete Tiere – und zwar so lange, bis sie auf natürliche Art sterben. „Erdlingshof“ beschreibt das Konzept der beiden Vorstände Johannes Jung und Birgit Schulze. Alle Lebewesen sind Erdlinge, streben nach Freude und wollen keine Angst und Schmerzen fühlen.
jedes tier hat seine geschichte
Kürzlich sind auch die ersten Wildtiere auf dem Erdlingshof eingezogen. Eine Damhirsch-Familie konnte im Mai gerettet werden. Der Besitzer hatte die Hirsche viele Jahre in einem viel zu engen Gehege gehalten und hatte dann mit dem Totalabschuss begonnen. Doch eine Nachbarin konnte ihn aufhalten. Auf dem Erdlingshof wurde extra für die Hirschfamilie ein neues, weitläufiges Gehege angelegt.
Von links oben nach rechts unten: Hirschbock Merlin macht sich über die frischen Möhren her
Das blinde Haushuhn Hannah wird oft auf den Armen getragen
Veggie-Power! Wenn es frisches Gemüse gibt, sind alle zur Stelle
Bulle Ben macht es sich mit Birgit und Johannes in der Sonne gemütlich
Benedikt wurde mal für gefährlich gehalten – dabei ist er nur ein kleiner Frechdachs im Schafspelz
Eigentlich sind auch Hannibal und Ronja, die beiden Wildschweine, als Wildtiere zu betrachten. Aber da sie schon als Frischlinge hierherkamen, nachdem sie ein Spaziergänger vor dem Erfrieren
gerettet hatte, können sie nicht mehr ausgewildert werden. Und so leben die beiden mit den Hausschweinen Totoro und Carsten zusammen. „Die einen wissen ja nicht, dass sie Wildschweine, und die
anderen nicht, dass sie Hausschweine sind“, erklärt Birgit Schulze auf die Frage nach dem Zusammenleben der Schweine.
Auch die Pferde und Rinder leben auf dem Erdlingshof in einem gemeinsamen Aktivstall. Der besteht aus einem überdachten Gebäude, einem großen Platz auf dem Hof und einer großen Weide. Um von A
nach B zu kommen, müssen sich die Tiere ganz schön viel bewegen. Das hält sie fit und macht sie sichtlich ausgeglichen.
Der Bulle Ben ist drei Jahre alt und wiegt schon eine ganze Tonne. Sein Schlachtgewicht hat er längst erreicht, doch bevor es soweit kommen konnte, wurde er gerettet. Heute macht er es sich am
liebsten auf dem Hof gemütlich, der übrigens einen sagenhaften Ausblick über den Bayerischen Wald bietet. Alle Tiere auf dem Erdlingshof werden rein pflanzlich ernährt. Birgit, Johannes und
weitere Helfer sorgen dafür, dass sie alle Nährstoffe bekommen, die sie für ihre Gesundheit brauchen – vor allem nach frischem Obst und Gemüse sind die meisten Tiere ganz verrückt.
vom leben als nutztier gezeichnet
Die Tiere auf dem Erdlingshof, berichten Birgit und Johannes, bräuchten viel Aufmerksamkeit und Pflege, weil sie oft schon leidvolle Erfahrungen gemacht hätten. So litten die Hühner unter dem
täglichen Eierlegen, das sie auch auf dem Erdlingshof nicht abstellen könnten. Oft seien sie so ausgezehrt, dass sie auch auf dem Erdlingshof nicht mehr lange zu leben hätten.
Täglich bekommt der Erdlingshof viele Anfragen, ob man Tiere aufnehmen könne. Doch nur ein ganz kleiner Teil der Tiere kann dann auch einziehen. Denn den Betreibern ist es wichtig, nur so viele
Tiere aufzunehmen, wie sie auch sicher versorgen können. „Tierarztkosten können schnell mal im vierstelligen Bereich liegen, auch das muss mit einkalkuliert werden“, sagt Birgit Schulze.
Gemeinsam mit Johannes konnte sie den Hof Anfang des Jahres kaufen. „Das bedeutet für uns ein großes Maß an Sicherheit.“
vegan heisst, sich für mitgefühl zu entscheiden
Auch Aufklärungsarbeit ist den beiden wichtig: Denn die Tiere, die auf dem Hof leben, haben es zwar gut. Aber was passiert mit all den anderen Tieren in der Nutztierhaltung? Birgit und Johannes sind sich sicher, dass durch Aufklärungsarbeit noch viel mehr Tiere gerettet werden könnten. Daher praktizieren und werben sie auch für eine vegane Lebensweise. „Unser Motto lautet ‚Vegan – für Mitgefühl entscheiden‘. Die Wenigsten wollen, dass Tiere für sie leiden oder sterben müssen.“
tier- und hof-patenschaften
Natürlich muss sich der Erdlingshof auch finanzieren. Das tut er zum größten Teil mit Tier- und Hofpatenschaften. Auch Einzelspenden tragen zum Erhalt des Hofs bei. Manchmal bekommt der Erdlingshof auch größere Beträge, wie den Erlös der Laufnacht des Vereins „Laufen gegen Leiden“. Johannes und Birgit freuen sich auch über positive Rückmeldungen: „Immer wieder schreiben uns Menschen, die durch unsere Arbeit ins Nachdenken gekommen sind und ihre Ernährung tierfreundlicher gestalten oder sogar vegan leben“, sagt Johannes, der sich zuvor durch Mitarbeit bei der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt schon hauptberuflich für Tiere stark machte. All dies kommt dem Erdlingshof mit seiner friedlichen Atmosphäre zugute.
// INFOS ÜBER DEN ERDLINGSHOF //
• Anfahrt: Der Erdlingshof liegt bei Kollnburg im Bayerischen Wald. Ogleinsmais 3, 94262 Kollnburg
• Kennenlernen: Jeden ersten Sonntag im Monat (von April bis Oktober) ist Besuchertag auf dem Erdlingshof. Birgit Schulze und Johannes Jung sind am 3. Dezember bei „Weihnachten
mal anders“ in Würzburg und auch im nächsten Jahr auf vielen veganen Infoveranstaltungen unterwegs, wie dem Vegan Street Day oder dem veganen Sommerfest in Berlin.
• Unterstützen: Ob man eine Patenschaft für das blinde Haushuhn Hannah übernehmen möchte, den Bullen Ben oder sogar für den gesamten Hof, das kann jeder selbst entscheiden. Der
regelmäßige Förderbetrag ist ab 5 Euro frei wählbar. Auch Einzelspenden sind möglich.
www.erdlingshof.de/patenschaft
www.erdlingshof.de/einzelspende
interview
„Ein Traum ist wahr geworden“
Was hat euch persönlich dazu bewogen, den Erdlingshof ins Leben zu rufen?
Johannes Jung: Die Gründung des Erdlingshofes war eine Herzensangelegenheit, um über das traurige Leben der sogenannten Nutztiere zu informieren. Gleichzeitig wollte ich auch aktiv Tiere retten und die Menschen an ihr Mitgefühl erinnern.
Birgit Schulze: Ich wollte schon immer Tierpflegerin werden und es war auch mein Traum, irgendwann auf einem Lebenshof zu arbeiten. Als Johannes jemanden auf dem Erdlingshof gesucht hat, habe ich gesagt: „Jetzt oder nie!“, und bin hierher gezogen.
Wie kommt ihr damit klar, dass ihr nicht alle Tiere retten könnt?
Johannes Jung: Es ist total traurig, wir bekommen so viele Anfragen. Ich sage immer, der Erdlingshof ist wie ein Boot. Wir haben eine Verantwortung für die Tiere, die schon mit im Boot sitzen. Wenn mehr Tiere dazukommen, hängt das Boot zu tief im Wasser. Und wenn noch mehr dazukommen, geht es vielleicht irgendwann unter.
Wie entscheidet ihr, ob ihr ein Tier aufnehmt oder nicht?
Birgit Schulze: Das hängt von vielen Faktoren ab. Wir müssen sicher sein, dass wir die Zusatzkosten tragen können, wir müssen die Zeit haben, das Tier gut zu versorgen, und es muss die räumliche Kapazität vorhanden sein. Bei uns zählt die Qualität vor der Quantität.
Was ist eure Hoffnung für die Zukunft?
Birgit Schulze: Dass die Menschen aufhören, Tiere als Lebensmittel und Nutzen anzusehen. Und unsere Arbeit irgendwann gar nicht mehr notwendig ist.
Ist für euch die vegane Lebensweise die einzige Option?
Johannes Jung: Ja, weil die vegane Lebensweise der friedlichste Weg ist. Die meisten Menschen wollen nicht sehen, woher ihr Fleisch, ihre Eier oder ihre Milch kommen. Aber wenn es nicht gut für die Augen ist, wie kann es dann gut für den Magen sein?
Das ist wahres Glück: Auf youtube.com „Ein neues Leben für Bruno“ eingeben und die Ankunft des Bullen auf dem Hof miterleben