
Der Hof Narr bietet dem Schwein Madame Michèle und über 100 anderen Tieren Zuflucht vor dem Schlachter und der Tierindustrie. Die Gründerin Sarah Heiligtag sensibilisiert mit Öffentlichkeitsarbeit für die Bedürfnisse und Rechte der Tiere
von Beate Förster
FOTO: SUPERPENG
Zwei Hunde und drei Schweine begleiten Sarah Heiligtag bei ihrem Spaziergang. „Bei uns auf dem Hof leben aktuell 108 Tiere, vom Kaninchen über die Hühner und Truten (Puten) bis zu den Ziegen, Schweinen, Eseln und Pferden“, sagt die gelernte Landwirtin. Auf den ersten Blick sieht der Hof wie ein herkömmlicher Bauernhof aus dem Bilderbuch aus. Doch auf dem Gelände bei Zürich werden Schweine nicht geschlachtet, Ziegen nicht gemolken – weil sie nicht besamt wurden und daher nicht gebären – und die Hühner müssen keine Eier legen. Die Betreiber des Lebenshofs Hof Narr, Sarah Heiligtag und ihr Mann, der Umweltnaturwissenschaftler Georg Klingler, sehen Tiere als Lebewesen mit eigenen Lebensrechten.
Fühlende Lebewesen – mit einem Recht auf Achtung
Somit sind die Tiere auf ihrem Hof Botschafter für eine Welt, in der sie als fühlende Lebewesen geachtet werden. „Auf anderen Höfen, die wir helfen umzustellen oder umgestellt haben, leben auch Kühe, die aber auch unter unserem Narrenschutz stehen“, erklärt die 41-jährige Philosophie-Masterabsolventin, die an Hochschulen in Bern, Zürich, Konstanz und Basel Ethik mit dem Schwerpunkt Tierethik lehrte. Den Namen „Hof Narr“ hat Sarah Heiligtag bei der Anpachtung bewusst gewählt, um der Konsumgesellschaft humorvoll, doch auch ernstgemeint den Spiegel vorzuhalten, wie ehemals der Narr am königlichen Hof. Wenn sie den Stall der Schweine betritt, begrüßen Leonie, Madame Michèle, Mimi, Bo, Kona, Tim und Froilein Tiffy sie grunzend.
Gerne legt sich Madame Michèle auf die Seite, damit ihr Bauch besser gestreichelt werden kann. Das gilt auch für die anderen rosafarbenen Vierbeiner. Schweine wissen schon nach kürzester Zeit, welche Menschen zu ihnen gehören und welche Emotionen von diesen Personen zu erwarten sind. „Sie sind dabei schneller und treffsicherer als Hunde und Katzen“, sagt Sarah Heiligtag. Forschungsarbeiten zum Wesen der Schweine zeigen, dass sie über eine Art eigene Sprache und ein Bewusstsein der eigenen Person verfügen. Von Natur aus sind sie stubenrein und halten ihren Schlaf- und Essbereich sauber. Gerne wühlen sie im Stroh und bauen Nester darin. „Ein Schwein“, erklärt die Hofbetreiberin, „kann eigentlich 20 Jahre alt werden. Aber sie sind so überzüchtet, dass das sehr unrealistisch ist.“
Auch die Hühner entdecken auf dem Hof Narr eine neue Welt. Diejenigen, die aus der Legehennenindustrie kommen, trauen sich in den ersten drei Tagen auf dem Hof nicht nach raus auf die Wiese. Aber dann scharren sie draußen und laufen über Gras. „Die einen sind frech, andere schüchtern. Die nächsten spielen gern. Alle entwickeln ihre Individualität, die sie in der Massentierhaltung nicht so entwickeln können. Hier erlebst du, wie sie aufblühen“, sagt die Tierethikerin. Besuchen Schulklassen den Hof, sind die meisten Tiere gerne mit dabei. Verweilt jemand im Gehege, nähern sich fast immer einige Tiere – wie der Ziegenbock Antonio –, um Streicheleinheiten einzufordern.
Sarah Heiligtag berät auch Bauern, die an dem herkömmlichen Milchsystem leiden. Einigen fällt es schwer, die neugeborenen Kälber den Mütterkühen wegzunehmen und männliche Kälber zum Schlachter zu schicken. Durchschnittlich fünf bis acht Bauern pro Woche würden sich bei ihr melden und fragen, wie sie ihren Hof auf vegane Landwirtschaft umstellen können, beschreibt Sarah Heiligtag die Not und das Interesse vieler Bauern – und ergänzt: „Schön sagte das der Bauer Toni Kathriner vom Lebenshof Tierparadies, der vor drei Jahren umgestiegen ist: ‚Früher verkauften wir den Tod, heute verkaufen wir das Leben‘.“
Milch-Subventionen untermauern das Unrecht
Das Problem, das noch bestehe, seien die staatlichen Direktzahlungen, die zu rund 80 Prozent für Tierprodukte gezahlt würden. „Wenn es diese Subventionen nicht gäbe, würde der ganze Markt anders aussehen“, erklärt die Hofchefin. Die Milchproduktion etwa würde sich in der heutigen Form gar nicht mehr rentieren – die Bauern müssten sie aufgeben und z. B. auf die Produktion von Pflanzenmilch umsteigen: „Die vegane Landwirtschaft ist die einzig zukunftsfähige. Sie ist viel ressourceneffizienter und ökologischer.“
www.vegan-fuer-mich.de/e-paper Nr. 8 2020, Seite 72-73
Weitere Infos:
Lebenshof Hof Narr
Auf dem Lebenshof Hof Narr bei Zürich können Tiere in Würde leben. Gründerin Sarah Heiligtag und der gemeinnützige Verein Hof Narr bieten Tieren ein Zuhause, ohne sie zu auszubeuten. Bei
Hofführungen können Schulklassen und Gruppen die Persönlichkeiten der Tiere live erleben. Sarah Heiligtag und ihr Team informierten die Besucher darüber, was aus der Forschung und eigener
Erfahrung über Tiere, ihre Verhaltensweisen und ihre Bedürfnisse bekannt ist. Vor allem über Patenschaften werden der Unterhalt der Tiere und alle notwendigen Anschaffungen und Maßnahmen
finanziert. Weitere Infos mit Spendenkonto:
www.hof-narr.ch