Auf einen Tee...

Fragen an Swami Nirgunananda

In dieser Rubrik stellen wir Persönlichkeiten aus der veganen Welt vor. Eine eher philosophische Sicht auf die Dinge steht dabei im Mittelpunkt


von Dirk Müller

FOTOS: PRIVAT


Die Einstiegsfrage in unserer Interview-Reihe „Auf einen Tee mit…“ ist immer diejenige nach dem individuellen Lieblingstee… - welcher ist also dein Lieblingstee?

Persönlich mag ich es, morgens nach meiner Praxis, bevor ich mich den Alltagsaufgaben zuwende, noch in Ruhe einen grünen Tee zu trinken. Dabei kann ich aus meinem Zimmer oder von meinem Balkon die grünen Bäume des Silvaticum-Parks direkt vor mir sehen und so einen Übergang von der Meditation zum Alltag gestalten. Eine ganz besondere Faszination hat für mich Jasmin-Tee - wegen des zarten Duftes und weil es so romantisch klingt. Damit habe ich persönlich schon in meiner Vor-Yoga-Vidya-Zeit immer Schönheit und irgendwie auch etwas Geheimnisvolles, Mystisches verbunden. Davon abgesehen, haben wir hier im Seminarhaus ja mehrere Teestationen mit leckeren, gesunden Bio-Tees wie Lemongras, Yogi Tee, Rooibusch, Ingwer und viele andere. Da fällt es schwer, einen Lieblingstee zu haben, weil sie alle gut schmecken und man kann einfach hingehen und sich einen Tee oder ein heißes Wasser holen.


Seit deiner Yogalehrer-Ausbildung vor 20 Jahren unterrichtest du in deinen Yoga- und Meditationskursen und -Seminaren ganzheitliche Spiritualität. Von Anfang an warst du eine der treibenden Kräfte beim Aufbau von Yoga Vidya Bad Meinberg, dem größten Yoga-Zentrum außerhalb Indiens. Was hat dich damals überhaupt zum Yoga geführt?

Da gab es eigentlich zwei Hauptgründe – und inzwischen weiß ich aus vielen Gesprächen mit anderen Yoga- und Meditations-Interessierten, dass es vielen Menschen ganz ähnlich geht:

 

Ich hatte einen Bürojob mit einiger Verantwortung, ließ mich leicht stressen und saß viel am Computer, bewegte mich wenig und so stellten sich allmählich  Verspannungen, Rückenschmerzen und Kopfschmerzen ein. Ich suchte nach einem Ausgleich und kam so zu meinem ersten Hatha Yoga Kurs, also den Körperübungen im Yoga. Wunderbarer Weise verschwanden all diese Beschwerden schon nach wenigen Kursstunden. Ich fühlte mich wie neu geboren. Auch ein bisschen mehr Lebensfreude und Lebensqualität kamen zurück. Aber, wie es oft so geht   kaum ging es mir besser, ließ ich das Yoga wieder sein und so ging es eine ganze Weile weiter: sporadisch mal Yoga machen und dann wieder nicht mehr. Eine zweite Motivation war eine kontinuierliche – zuerst unbewusste, später bewusste – Sinnsuche. Damals waren Yoga, Meditation und Spiritualität noch nicht so populär und verbreitet wie heute und so hatte ich zwar schon von Jugend an ein Gefühl: „Das kann nicht wirklich alles sein, was man so normalerweise macht, also Ausbildung, Beruf, Familie, Reisen usw. Es muss doch etwas mehr und etwas Tieferes im Leben geben als das. Aber das Bildungssystem und auch mein familiäres und privates Umfeld gaben darauf keine Antworten. Rein äußerlich schien alles bestens zu sein, es ging mir „gut“, ich hatte eine relativ große Freiheit in meinem Beruf, eine stabile langjährige Partnerschaft usw. Es gab also offenbar keinen objektiven Grund für die latente Unzufriedenheit. So habe ich neben meiner beruflichen Tätigkeit dann immer weiter gesucht, nebenberuflich alles Mögliche ausprobiert, berufliche Weiterbildungen gemacht. Das war auch immer ganz schön, aber nach einer Weile merkte ich, dass es dauerhaft doch nicht befriedigend war.

 

Parallel hatte ich in einem Buch über Meditation gelesen und fing einfach an, nach der Anleitung in diesem Buch zu meditieren. Obwohl ich bis dahin keinerlei Bezug zu spirituellen Traditionen hatte, war da ein innerer Drang zu meditieren. Das habe ich dann jeden Tag gemacht und dabei auch schon einige tiefe Erfahrungen gehabt. Intuitiv habe ich einfach diesen Erfahrungen vertraut und mich von ihnen immer mehr leiten lassen. So kam ich im Laufe der weiteren Suche und ich möchte sogar sagen, aufgrund der intuitiven inneren Führung, schließlich zur Yogalehrer Ausbildung bei Yoga Vidya Westerwald. Und das war dann wie eine Offenbarung für mich, die mein Leben nachhaltig verändert hat:  Ich war total überwältigt und fasziniert davon, dass es Menschen gibt, die diese alternative Lebensform leben, die Yoga und Spiritualität zu ihrem Hauptziel und Inhalt gemacht haben. Es war eine unglaubliche Erfahrung, dass es seit Jahrtausenden schon Menschen gegeben hat, die sich diese Sinnfragen gestellt haben und auch Antworten darauf gefunden haben. Und noch mehr – es ist nicht nur reine Theorie, sondern es gibt einen praktischen Übungsweg, und wenn man den geht, kann man diese Erfahrung selbst machen. Man muss also weder einfach „glauben“, noch ausschließlich trockene Philosophie büffeln. Von da an war für mich klar, ich möchte das, was ich als sinnvoll für mich und andere Menschen erkannt habe, nämlich Yoga und ganzheitliche Spiritualität, leben und weitergeben. 1 Jahr nach dieser Yogalehrer Ausbildung begann ich als Mitglied der spirituellen Yoga Vidya Gemeinschaft im Haus Westerwald, und von dort aus haben wir dann den größeren Ashram hier in Bad Meinberg aufgebaut.

Welche Rolle spielt bei ganzheitlicher Achtsamkeit unser Bezug zu den Tieren als unseren Mitgeschöpfen?

Eine sehr sehr große – „Achtsamkeit“ schließt Respekt, Mitgefühl, Güte und Liebe für alle Wesen mit ein.  Für viele Menschen in unserem heutigen Umfeld ist es schon ein großer Schritt, sich selbst – den eigenen Körper, die eigenen Reaktionen, Gefühle usw. – wahrzunehmen. Es ist eine wichtige heilsame Stufe von Achtsamkeit, in der Entspannung bewusst seinen Körper wahrzunehmen oder in der Meditation bewusst die Bewegungen des Geistes, Gedanken, Emotionen, Bilder usw. wahrzunehmen und nicht sofort darauf zu reagieren. Wenn man Hatha Yoga, Meditation oder andere Achtsamkeitstechniken wie Body Scan, MBSR, Yoga Nidra usw. eine Weile regelmäßig übt, verändert man sich selbst, seine Einstellungen, Gewohnheiten, Verhaltensweisen ganz allmählich von selbst. Die positiven Wirkungen belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien, insbesondere für Meditation und Entspannung. Aus diesem neuen Selbstverständnis heraus entsteht eine Weite, ein Mitgefühl, ein intuitives Verständnis für Befindlichkeiten und Leiden anderer Lebewesen, unseres Planeten und natürlich auch von Tieren. Es ist ein natürlicher Prozess der Achtsamkeitsfokussierung und der geschärften Bewusstheit  – das weiß ich natürlich von mir selbst und aus Gesprächen mit vielen Teilnehmern an Meditationskursen und –retreats. Es macht deshalb Mut macht, dass über 15 Millionen Menschen in Deutschland meditieren oder sich vorstellen können, in naher Zukunft mit Meditation zu beginnen. Die in diesem jahr erschienene Meditaionsstudie des Berufsverbands der Yoga Vidya LehrerInnen zeigt, dass schon 6,6 % der Bevölkerung, also fast 5 Millionen Menschen, bereits jetzt regelmäßig meditieren. Ahimsa, Nichtverletzen, ist außerdem einer der wichtigsten Werte im ganzheitlichen Yoga. Ahimsa paramo dharma bedeutet: Nichtverletzen ist die höchste Pflicht. Das ist letztlich ein Ausdruck von Liebe. Manche Menschen haben das von Natur aus, zum Beispiel in sozialen Berufen, oder Eltern, die sich um ihre Kinder kümmern.
Jeder, der eine Katze oder einen Hund hat, weiß, dass sie fühlende Wesen sind, die leiden können, die Schmerz, Trauer, Freude, Todesangst empfinden können. Das trifft natürlich auf alle Lebewesen zu.


Vegetarische Ernährung und Yoga sind in langer Tradition eng miteinander verbunden, inkl. des Verzichts auf Eier. Bei Milchprodukten ist die Situation weniger klar, doch auch die Nutzung von Kuhmilch mit der gewaltsamen Trennung von Mutter und Kind verursacht Leid. Wie kann man bzw. sollte man damit umgehen?

Angesichts der heutigen Verhältnisse in der Tierhaltung ist die vegane Ernährungsweise sicher diejenige, die am mitfühlendsten und am wenigsten verletzend ist. Die yogische Ernährung im alten Indien schloss auch Milch und Milchprodukte in Maßen ein, aus gesundheitlichen Gründen wie auch aus energetischen Gründen. Zum Beispiel wurde in den alten Hatha Yoga Schriften ein Glas Milch zum Ausgleich unruhiger Energien empfohlen. Im alten Indien galten aber auch noch andere Umwelt- und Lebensbedingungen:  Es gab kleinere Einsiedeleien, in denen der Lehrer mit seiner Familie und seinen Schülern zusammen lebte und wenige Kühe wurden natürlicherweise dort im Wald, auf Lichtungen oder Flussufern geweidet. Sie gehörten gewissermaßen „zur Familie“. Der getrocknete Kuhdung diente als Feuermaterial für den Alltag und für Homas, Feuerrituale. Aber Kühe waren nicht einfach „Nutztiere“, sondern wurden als heilig respektiert. Sie waren ein Symbol für uneigennütziges Geben, Sanftmut und Liebe und wurden entsprechend ehrerbietig behandelt. Heute kann man dagegen die Augen nicht vor dem Leid der Tiere verschließen. Da ist es sicher ein Ausdruck von aktivem Mitgefühl und Eigenverantwortung, auf Milchprodukte zu verzichten.


Wie lassen sich Yoga und Meditation in den heute oft hektischen Alltag integrieren?

Den alltäglichen Verpflichtungen und steigenden Anforderungen aus Beruf, Familie, Freundeskreis u.a. gerecht zu werden, ist für viele Menschen eine zunehmende  Herausforderung. Wenn die Eltern pflegebedürftig werden oder man plötzlich alleinerziehend dasteht, ist guter Rat teuer. Es hat also gute Gründe, warum es phasenwesie nicht gelingt, Yoga und Meditation beständig in den Alltag zu integrieren, auch wenn man erfahren hat, wie gut es einem tut. Bei Yoga Vidya haben wir da einen recht pragmatischen Ansatz: Wichtig ist, erst mal eine Gewohnheit zu schaffen und klein anzufangen. Das bedeutet: Nimm dir etwas vor, was tatsächlich realistisch und umsetzbar in deinem Alltag ist. Es nützt nichts, wenn man nach einem Seminar im Yoga Ashram hoch motiviert jeden Tag mehrere Stunden Yoga und Meditation praktizieren möchte. Frustration ist vorprogrammiert, wenn der Alltag das Vorhaben nicht zulässt und nach ein paar Versuchen das ganze Vorhaben wieder einschläft. Deshalb meine Empfehlung: Am Anfang ein- oder zweimal die Woche einen Yogakurs in einer Gruppe besuchen, und die eigene Praxis schrittweise auf täglich eine halbe Stunde ausdehnen.Und zur Meditation: Natürlich ist es gut, wenn man vor Ort eine Meditationsgruppe hat, mit der man regelmäßig zusammen meditiert, um Fragen zu klären, sich mit anderen auszutauschen, eigene Erlebnisse zu reflektieren usw. Wichtiger ist aber, sich jeden Tag 5 Minuten hinzusetzen und in die Stille zu gehen. Regelmäßig um dieselbe Zeit einen geringen Zeitumfang zu üben ist sinnvoller, als einmal im Monat für 3 Stunden. 5 Minuten am Tag hat jeder. Die Ausrede „Ich habe keine Zeit“ funktioniert dann nicht mehr.Natürlich ist da auch ein „Trick“ dabei: Allmählich gewöhnt sich der Geist, der sonst rebelliert, daran  und merkt, wie gut die Ruhe tut. Dann verlängert sich die Zeit automatisch. Wenn man dann an einem Tag mal die Meditation auslässt, merkt man den Unterschied: Man fühlt sich einfach nicht mehr so wohl, und der Tag verläuft anders. Irgendwann wird es so selbstverständlich wie das tägliche Zähneputzen.

 

Am wirkungsvollsten ist die Praxis morgens nach dem Aufstehen – dann hat man eine gute Grundlage für den ganzen Tag, bevor man in das Getriebe des Alltags eintaucht. Meditation und Yogapraxis regen die Kreativität an. Währedn due meditierst, erhältst du intuitiv eine Erkenntnis, einen Lösungsansatz für ein Problem, eine Eingebung, wie ein Projekt anzugehen ist. Aber das Wichtigste ist, man macht es überhaupt, so viel oder so wenig wie in der aktuellen Lebenssituation möglich ist. Du kannst auch zwischendurch ein paar Übungen machen oder dich abends noch ein paar Minuten zur Meditation hinsetzen. Nutze einfach die Wartezeiten auf den Bus, die S-Bahn, beim Arzt, an der Kasse im Bioladen – atme tief und bewusst ein und aus, wandere mit dem Bewusstsein durch den ganzen Körper, beobachte deinen Atemfluss oder wiederhole ein Mantra. Schon wirst du ruhiger.

 

Regelmäßige Praktiken geben dir dauerhaft mehr Energie, sodass du vielleicht etwas weniger Schlaf brauchst, mehr Konzentration und Energie hast, dich wieder konzentrierter fühlst. Als ideal gelten 30 Minuten Asanas, 10-30 Minuten Pranayama (Atemübungen) und 20-30 Minuten Meditation jeden Tag. Und ab und zu mal eine intensivere Phase, zum Beispiel in einem Yoga-Urlaub oder Meditationsretreat etc. Dann wirst du eine deutliche Entwicklung bei dir selbst wahrnehmen können und dich insgesamt gelassener fühlen.


Und gelingt dies vielen Menschen auch deshalb nicht, weil sie sich gar nicht auf sich selbst besinnen wollen, evtl. sogar Angst vor Selbsterkenntnisprozessen haben?

Gerade die hektische Betriebsamkeit, die unser heutiger Alltag fordert, führt dazu, dass man sich in seiner Freizeit nicht auch noch anstrengen will, sich nicht noch mit Sinnfragen oder Selbsterkenntnisprozessen auseinandersetzen will, sondern einfach nur abschalten will. Da ist es naheliegend, die kleine innere Stimme zu verdrängen, die einem vielleicht sagt: „Bist du wirklich glücklich und zufrieden? Willst du wirklich so weitermachen, und dich immer mehr auspowern und immer mehr den Zugang zu dir selbst verlieren?“ Vielleicht lebt man in Lebensumständen, die einem nicht (mehr) wirklich liegen, man spürt es instinktiv, aber man hat nicht die Kraft, etwas zu ändern. Die Verpflichtungen für den eigenen Lebensunterhalt, die Familie, den Partner usw. machen es nicht möglich einfach sagen, „ich bin jetzt auf dem Selbstfindungstrip und Tschüs“. Das kann tatsächlich ein Prozess sein, der einen unter Umständen erst in eine Sinnkrise stürzt, bis man dann mit einem gestärkten Selbstbewusstsein daraus hervorgeht, die Intuition stärker wird und man allmählich auch lernt, dieser Intuition zu vertrauen. Oft tun sich dann ganz neue Wege auf – man wird geführt, wenn man sich auf di eigene Anbindung an eine höhere Intelligenz einlassen kann. Und die gute Nachricht: Wenn man mal angefangen und 3 Monate regelmäßig durchgehalten wird, wird es zum Selbstläufer: Die Gewohnheit festigt sich und wird dauerhaft integriert; man gewinnt Kraft, und die Anforderungen kreativer anzugehen und wenn nötig auch äußere Veränderungen einzuleiten.  In unseren Meditationsausbildungen lernt man viele Hintergründe über Meditation und verschiedenste Techniken, sowohl aus christlicher Kontemplation, Buddhismus, wie auch Yoga-Techniken wie Mantra-Meditation, Energiemeditation oder abstrakte Meditationstechniken. Wer lieber zu Hause anfangen will zu meditieren, kann sich z.B. die kostenlose Yoga Vidya App mit Meditationsanleitungen aufs Handy ziehen, das Meditationsbuch „Meditieren lernen in 10 Wochen“ besorgen oder sich per Video oder Podacst auf www.yoga-vidya.de anleiten lassen.


Das höhere Selbst sehen dank intensiver spiritueller Praxis, den Schleier des Geistes durchbrechen – für Außenstehende nicht leicht zu verstehen. Ist alles Denken an sich schon Verschleierung?

Auf einer praktischen Ebene sind Denken und gesunder Menschenverstand natürlich wichtig. Es wäre zum Beispiel nicht geschickt, beim Autofahren oder im Berufsalltag oder wenn man etwas am Computer macht, das Denken komplett auszuschalten….
Aber aus einem anderen Blickwinkel ist unser Denken tatsächlich eine „Verschleierung“ und zwar in mehrfacher Hinsicht: Erstens, wie wir die Welt subjektiv wahrnehmen, ist immer gefiltert durch unsere persönliche Wahrnehmung, unsere Prägungen, Erziehung, Erfahrungen und auch momentane Verfassung. Ein Kollege/Kollegin erwidert unseren Gruß nicht – wir überlegen gleich: Habe ich etwas falsch gemacht? – Oder: Warum mag/er sie mich nicht? – Oder: Ist der/die aber wieder unhöflich heute. – Dabei kann es sein, er/sie hat einfach Probleme und ist mit seinen Gedanken ganz woanders. In dem Moment, wo du diesen plappernden, gefärbten Geist einen Moment zur Ruhe bringst, bist du bei „dir selbst“, in deinem innersten Wesenskern, im Hier und Jetzt. Das ist Ziel der Meditation: Wach und achtsam zu sein, eine Konzentrationstechnik als Hilfsmittel, um den Geist auf eine Sache zu fokussieren und dann möglichst ohne einen konkreten Gedankeninhalt in der Ruhe und Stille zu sein. In dem Moment ist man ganz im Hier und Jetzt und dann ist automatisch eine Freude da, eine Weite vom Herzen her – weil dein wahres Selbst diese Freude ist. Das kann man nicht wirklich erklären oder beschreiben, so wenig wie man jemanden, der noch nie einen Apfel gegessen hat, den Geschmack eines Apfels beschreiben kann. Man muss es selbst erfahren, dann weiß man, was gemeint ist . Du tauchst ein in deine innere Kraftquelle. Sie macht dich innerlich freier von Vorurteilen, Erwartungen, wie etwas zu sein hat oder was passieren sollte oder keinesfalls passieren dürfte. Das führt schließlich zu einem zufriedeneren, glücklicheren Leben.

 

Auf einer noch tieferen Ebene heißt es im Vedanta, der Philosophie der Einheit, die auch hinter unserer ganzheitlichen Yoga Tradition steht: Die Welt, so wie wir sie normalerweise wahrnehmen und wie sie uns unsere empirische Erfahrung widerspiegeln - nämlich als eine Ansammlung verschiedenster Dinge, Objekte, Wesen, Situationen – ist nicht „wirklich“. Die „Wirklichkeit“ dahinter ist: Es gibt kein ungeordnetes Chaos, sondern letztlich ist das, was wir wahrnehmen, ein Ausdruck eines Göttlichen, einer höheren Intelligenz. Und dieses „Göttliche“, wie immer wir es definieren wollen, ist die wahre Essenz, der innere Kern in allem in der Schöpfung, in allen Wesen und Erscheinungen. Auf dieser Ebene sind wir nicht getrennt, sondern eins mit allen und allem. –Meditation zielt letztlich darauf ab, diese Einheit, diese Verbundenheit zu erfahren oder mindestens zu erahnen. Damit hört vieles, was uns belastet, allmählich auf. Du musst das nicht glauben – fange einfach an zu meditieren oder Yoga zu üben oder eine andere spirituelle Praxis – und mit einiger Ausdauer und Kontinuität kommt die Erfahrung ganz von selbst.

 

Der menschliche Geist ist ein großes Geschenk, denn er ermöglicht uns Unterscheidungskraft, Urteilskraft und Willenskraft – das heißt, wir können auch bewusst entscheiden: Will ich das, wie es jetzt ist, wirklich oder nicht? – Er ist unser Freund, wenn wir ihn verstehen und lenken. Er ist eher destruktiv, wenn wir ihn einfach unreflektiert seinen Ängsten, Fantasievorstellungen, oft irrationalen oder auch manipulierten Wünschen nachgehen lassen, und unser ganzes Lebensgefühl von diesen Schwankungen abhängig ist.


Wohin geht unser Geist, wenn er mit dem Tod seinen Körper verlässt? Oder anders gefragt: Was dürfen wir hoffen?

Nach der Yogaphilosophie heißt es, unser Geist  oder die individuelle Seele – d.h., all unsere Veranlagungen, Prägungen, Ursachen und Wirkungen, die wir durch unser Handeln und Denken gesetzt haben – verlässt als Astralkörper nach dem physischen Tod den physischen Körper und existiert auf feinstofflicher Ebene weiter. Das heißt, es gibt einen ganz großen Trost: Wir bekommen immer wieder eine neue Chance. Was wir in diesem Leben vielleicht sehr gewünscht aber nicht verwirklicht haben, kann in einem nächsten Leben erfahren werden. Aber: Das Leben ist auch immer mit Leiden verbunden: Mit Krankheit, Verfall, Tod. Und so wachsen wir mit all den Erfahrungen, die wir im Laufe vieler Leben machen. Und wenn wir alle Erfahrungen gemacht haben, die wir brauchen, werden wir irgendwann wieder ganz eins mit unserem Ursprung, dem reinen Sein, der reinen Bewusstheit und gehen darin auf. Das Leben wird also als eine ständige Evolution aufgefasst, die uns immer neue Herausforderungen und Chancen, Erfahrungen und Entwicklungsmöglichkeiten bietet und irgendwann, wenn die Seele reif und bereit ist, kehren wir in einer Involution zurück zu unserer Quelle. So gesehen ist das die positivste Lebenseinstellung, die man sich vorstellen kann. Wenn man meint, das Leben auf dieser relativen Ebene sei doch nicht so erstrebenswert, weil es eben auch immer mit Leiden verbunden ist, dann kann man die Kette durch intensive spirituelle Praxis – Meditation, Yoga oder andere Übungswege – erheblich abkürzen….


Eine persönliche Frage: Ich selbst tue mir mit Yoga und Meditation eher schwer, obwohl meine Frau selbst ausgebildete Yoga Vidya-Lehrerin ist. Viel lieber jogge ich, und das recht oft. Kann man seinen Geist auch in der gleichmäßigen Bewegung des Laufens sammeln und schulen?

Ja, natürlich. Jede Art von Konzentration, die den Geist fokussiert, ist hilfreich. Und Joggen ist ja nebenbei auch noch auf viele Weisen gesund: Körperliche Bewegung, Training, frische Luft, Freisetzen von Glückshormonen, Fokussierung des Geistes durch gleichmäßige rhythmische Bewegung, Stressabbau und Erhöhung der Stressresistenz.... – in vielerlei Hinsicht hat Joggen eine ähnliche Wirkung wie Meditation. Wichtig ist, dass wir einen Ausgleich zu dem ständigen Nach-Außen-Gezogen-sein schaffen, wo der Geist sich einfach mal fokussieren und dadurch auch regenerieren kann.                                                                                 
Sammle dich vielleicht zusätzlich abends ein paar Minuten in der Stille, lasse den Tag Revue passieren und übergib, was du erlebt hast, einer höheren Kraft. Setze dich nach dem Joggen vielleicht noch ein paar Minuten hin zur Meditation – dann verstärken und ergänzen sich beide Techniken ideal in ihrer Wirkung. Wenn Du die Meditation einfach als Ergänzung zum Joggen ansiehst, überwindest du vielleicht die Vorstellung, dass es dir schwer fällt und du merkst, dass dein Geist durch das Joggen schon optimal auf die Meditation vorbereitet und eingestimmt ist…Vielleicht magst Du es einfach mal mit ein paar Minuten jeden Tag ausprobieren.


Du bietest u.a. regelmäßig Schweigeseminare an. Warum ist Schweigen wichtig?

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Austausch mit anderen ist natürlich wichtig und gehört zum Leben dazu. Aber schweigen kann sehr heilsam: Wir werden von Reizen, Informationen und Anforderungen überflutet und ständig nach außen gezogen. Eine Rückzugs- und Schweigephase – zum Beispiel 5 Tage, eine Woche oder auch länger – schenkt dem Geist und der ganzen Psyche eine Ruhepause. Wir geben ständig Energie aus: Durch Aktivität und Bewegung; die Verdauung braucht Energie; und Sprechen braucht Energie. Das merkt man dann, wenn man sich lange und viel unterhalten hat, in einem Seminar viele Vorträge hintereinander gegeben hat. Und so wie man beim Fasten die Energie der Verdauung sublimiert, so sublimiert man beim Schweigen die Energie, die sonst in das Reden hineingeht. Und kann sie als Energie aufspeichern, so dass sie einem während der Schweigeperiode für Bewusstseinserweiterung und im Alltag wieder umso mehr zur Verfügung steht.
In den Seminaren meditieren wir, üben Yoga, achten auf eine leichte, gesunde Ernährung, usw. Da der Geist dann nur noch wenig Ablenkungen hat, können durchaus Prozesse in Gang kommen, verdrängte Bewusstseinsinhalte, Verletzungen, Probleme usw. an die Oberfläche kommen, intuitive Erkenntnisse entstehen. Bist du bereit, dich darauf einzulassen? Wer regelmäßig meditiert, fühlt sich irgendwann zu dieser Stille hingezogen.Es gibt eine ganze Reihe unserer TeilnehmerInnen, die eine solche Schweigeperiode – sei es in unserem Shivalaya-Stille-Center oder als Vipassana- oder spirituelles Retreat – regelmäßig einmal im Jahr in ihre Planung einbauen. Sie schätzen dann die Intensität der Meditation in der Gruppe. Ich biete auch immer die Möglichkeit zu persönlichen Gesprächen an, wo Teilnehmer ihre Erfahrungen und Fragen teilen können.


Noch einmal zurück zum veganen Thema: Wie beurteilst du die gegenwärtige vegane Entwicklung auch im Kontext von Klimawandel, Ökologie, Gesundheit und ethischen Beweggründen?

Dass es eines Umdenkens und einer neuen Achtsamkeit im Umgang mit unserer Mutter Erde, mit unseren Mitgeschöpfen bedarf, wenn auch die nächsten Generationen noch auf der Erde leben wollen, steht außer Frage. Irgendwo ist das sicher den meisten Menschen klar, aber von der Erkenntnis bis zu dem Schritt, selbst auch etwas zu tun, seinen eigenen Lebensstil anzupassen, braucht es vielleicht noch ein bisschen. Da ist die vegane Bewegung sehr wichtig – sie versucht, wie ihr es ja mit der „Vegan für mich“ macht, Menschen zu informieren, vielleicht auch aufzurütteln, und aufzuzeigen: Es gibt Alternativen. Und wenn nicht nur ein Mensch, sondern immer mehr ihre Lebensweise umstellen, hat das ganz sicher eine Auswirkung und wird positive Veränderungen nach sich ziehen. Ich denke, es kommt da gerade viel in Bewegung – im Umweltbewusstsein, in der vegetarisch-veganen-Szene, auch unter den jungen Menschen. Die Vegan-Bewegung schont die Ressourcen und fördert den ethischen Umgang mit allen Lebewesen. Je mehr Menschen Yoga, Meditation, andere spirituelle Wege gehen, umso stärker beeinflussen sich die Bewegungen gegenseitig und es kann die nötige Um- und Neuorientierung geschehen.


Ist – um abschließend noch einmal etwas weiter auszuholen – die Menschheit noch zu retten?

Ich bin grundsätzlich ein positiv eingestellter Mensch. Ich glaube, Menschen sind lernfähig. Immer mehr Menschen – auch in der jüngeren Generation - erkennen, dass wir Verantwortung übernehmen müssen und zwar jeder Einzelne. Wenn jeder darauf achtet, nicht in die Luft hinaus zu heizen, öfter mit dem Fahrrad statt mit dem Auto zu fahren, oder mit dem Zug statt mit dem Auto, oder mal in den Ashram zum Yogaseminar zu kommen statt irgendwohin zu fliegen, auf seine Ernährung und seinen Lebensstil insgesamt achtet, Mitgefühl und Achtsamkeit im täglichen Leben zum Ausdruck zu bringt, gibt es zu Hoffnung Anlass. Meditieren, Yoga üben oder eine andere spirituelle Disziplin verfolgen – wenn das möglichst viele machen, hört „Verletzen“ auf allen Ebenen von selbst auf… - was ja einer der Gründe ist, warum Swami Vishnu-devananda, der direkte Lehrer unserer Gründers Sukadev Bretz, die Yogalehrer-Ausbildung systematisiert und im Westen eingeführt hat: Er meinte, wer Yoga übt, wird von selbst achtsam und bewusst, wird mehr und mehr im Frieden mit sich selbst und seiner Umgebung sein. Und wenn jede/r ausgebildete YogalehrerIn interessierten Menschen Yoga und Meditation weiter gibt, hat das einen positiven Schneeballeffekt und muss zwangsläufig zu einer friedlicheren Welt führen. Das ist die Vision. Wie realistisch das ist, müssen wir abwarten. Aber jeder Einzelne von uns kann dazu beitragen.



ZUR PERSON:

Swami Nirgunananda

Die 1956 als Siglinde Langergeborene Yoga- und Meditationslehrerin hat Europas größtes Yogazentrum Yoga Vidya in Horn-Bad Meinberg maßgeblich mit aufgebaut und war lange Zeit dessen Leiterin. „Swami“ bedeutet im Sanskrit Mönch, „Nirgun Ananda“ so viel wie „Eigenschaftslose, reine Freude“