Salatplatte oder Gemüseteller?


Immer wieder ziehe ich Vergleiche und denke an die Zeit, als ich mich für eine vegetarische Lebensweise entschieden hatte und daran, wie es ist, heutzutage vegan zu leben. Was war damals anders, was ist gleich geblieben und hat man es heute vielleicht etwas besser oder leichter als seinerzeit als Vegetarier/in?

von Daniela Boehm

FOTOS: © RANI SINGH


Seit 2010 lebe ich vegan - eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Getroffen habe ich sie, als ich erkannte, dass eine vegetarische Lebensweise allein nicht ausreicht, um Tierleid zu verhindern. Vierunddreißig Jahre war ich Vegetarierin gewesen und die Umstellung auf eine vegane Ernährung kann ich aus persönlicher Erfahrung nur jedem empfehlen und ans Herz legen, auch aus gesundheitlichen Gründen - sie tut einfach gut! Und ich wünschte, ich hätte schon viel früher damit angefangen und erkannt, wie viel immenses Leid hinter der Milch- und Eierindustrie steckt.


vegetarischer start mit 15

Ich war fünfzehn Jahre alt, als ich aus ethischen Gründen begann, kein Fleisch mehr zu essen. Das war Mitte der siebziger Jahre, kurz bevor ich auf ein Internat nach Österreich kam. Mit jugendlichem Elan und aus glühender Überzeugung trat ich für eine fleischlose Ernährung ein, doch schon bald musste ich feststellen, dass ich auch deshalb im Internat zur Außenseiterin wurde. Ich schreibe „auch“, weil ich wegen meiner hochdeutschen Aussprache ziemlich belächelt wurde, ich galt als „Piefke“.


prägende erfahrungen

Immer wieder war ich dem Spott meiner Mitschüler/innen ausgesetzt - unvergesslich ist mir das schreckliche Erlebnis, als mir ein Mitschüler während der Pause im Klassenzimmer heimlich zwei abgehackte Hühnerkrallen auf meinen Stuhl legte – wofür er sich allerdings viele Jahre später netterweise entschuldigte. Genauso bleibend in meiner Erinnerung ist der Moment, als ich im Speisesaal an der Essensausgabe darum bat, dass mir kein Fleisch zum Gemüse auf den Teller gelegt wird. Unglücklicher Weise stand der Schulkoch an diesem Tag persönlich hinter der Theke (er war bekannt für sein cholerisches Temperament) und brüllte mich an, was ich mir denn einbilde und wer ich denn zu sein glaube. Das Resultat dieser für mich damals schmachvollen und peinlichen Erfahrung war, dass ich zu einer Art Selbstversorgerin wurde und mich von meinem Taschengeld selbst mit dem Nötigsten versorgte. Über den Vegetarismus hielt ich ein Referat im Deutschunterricht – soweit ich mich erinnere, bekam ich keinen Applaus von meinen Mitschüler/innen, vom Lehrer dafür die Note Eins.


Der Spott, dieses „Nicht-ernstgenommen-Werden“, die ständigen Witze (die mir irgendwann zu den Ohren raushingen), belächelt zu werden – daran gewöhnte ich mich im Laufe meines Lebens und zu

keiner Zeit änderte es etwas daran, meiner Einstellung treu zu bleiben. Doch ehrlicher Weise muss ich zugeben, dass es Phasen in meinem Leben gab, in denen ich des Diskutierens und Erklärens müde war.


Immer wieder begegnete ich aber auch Menschen, die meine Lebensweise und die Beweggründe dafür schätzten, und niemals werde ich meine Reise mit achtzehn Jahren nach Indien vergessen – das war 1979 – und dieses wunderbare Gefühl, ganz „normal“ zu sein, was meine Essgewohnheiten betraf. Es war (und ist es noch heute) in diesem Land das Selbstverständlichste auf der Welt, ein/e Vegetarier/in oder Veganer/in zu sein.


Überhaupt – Essengehen in der damaligen Zeit! So richtig wohl fühlte ich mich nur beim Italiener oder Inder, und das erste vegetarische Restaurant in München war eine kleine Sensation, genauso wie das in Wien, wo ich zwei Jahre gelebt habe. In allen anderen Restaurants konnte man meistens nur zwischen zwei, bzw. drei Alternativen wählen: Salatplatte, Gemüseplatte oder den in Bayern bekannten Käsespätzle. Das war‘s!


der spott, der meine mutter traf

Rückblickend denke ich oft an meine Großeltern oder meine Mutter – sie hatten nochmals ganz an-dere Herausforderungen zu bestehen. Mein Großvater mütterlicherseits hatte sich bereits Ende der Zwanziger Jahre für eine vegetarische Lebensweise entschieden und lernte auch den wunderbaren Manfred Kyber kennen, den man heute als Tierrechtler bezeichnen würde. Als mein Großvater meine Großmutter in Berlin heiratete, gab es zum Entsetzen der angeheirateten Verwandtschaft in einem Speiselokal Sellerieschnitzel als Hochzeitsessen, und mehr als einmal wurde meine Oma schräg angeblickt, wenn meine Mutter bereits als kleines Kind jegliches Fleisch verweigerte, denn zu dieser Zeit des Zweiten Weltkriegs herrschte bereits bittere Not und man war froh, wenn es überhaupt etwas zu essen gab. Meine Mutter, die meinen Vater Karlheinz Böhm 1960 zu den Dreharbeiten von ‚Peeping Tom‘ in London besuchte, bekam trotz ihrer vorher ausdrücklich geäußerten Bitte am Telefon, bei einem privaten Abendessen ein Gericht mit Speck vor die Nase gesetzt. Ob absichtlich oder unabsichtlich, wer weiß? Ihre Vermutung ist bis heute, dass es eine Art makaberer Test war, denn der Gastgeber dieses Abends hatte ja schließlich gewusst, dass sie vegetarisch lebte. Und immer wieder hat sie mir erzählt, wie viel Spott sie vor allem in dieser Zeit ausgesetzt war.


Noch viel mehr als ich, hatten meine Mutter und meine Großeltern mit Ablehnung und Unverständnis seitens ihrer Mitmenschen zu kämpfen. Das war einer der Gründe meiner Mutter, die Entscheidung, ob wir Kinder eines Tages ganz vegetarisch leben wollten, uns selbst zu überlassen.


Und wie ist es heute?

Mit Sicherheit kämpfen Veganer/innen nach wie vor mit den Vorurteilen ihrer Mitmenschen. Doch anders als damals, so empfinde ich es zumindest aus persönlicher Erfahrung, begegnen sie nicht mehr ganz so vielen Vorurteilen und Ablehnung. Ein sehr kritischer Punkt ist allerdings die vegane Ernährung bei Kindern. Eltern sehen sich hier oft regelrechten Anfeindungen und Vorwürfen ausgesetzt. Auch Jugendliche haben es oft schwer, sich gegenüber ihren besorgten Müttern und Vätern durchzusetzen. Und natürlich gibt es leider genügend Beispiele im Alltag, die zeigen, dass man als vegan lebender Mensch immer noch um gesellschaftliche Akzeptanz ringt, wobei das „Standing“ heutzutage aber ein anderes ist. Zu viel ist mittlerweile dank des Internets und der Medien über die unfassbaren Auswüchse des Tierleids bekannt, und viele namhafte Persönlichkeiten oder Ärzte sprechen sich für eine vegane Ernährung aus, etwas, das zu meiner Zeit weniger der Fall gewesen ist. Auch dem Spott begegnet man nach wie vor, das fällt mir besonders bei den Mahnwachen am Münchner Schlachthof auf. Und es ist vielleicht ein Unterschied, ob man in der Stadt oder auf dem Land lebt, ob man ein Erwachsener oder ein Kind ist. Das beweist der traurige Fall eines zwölfjährigen Jungens in England, Louie Fenton, der tragisch ums Leben kam – aufgrund der Vorkommnisse an der Schule, die er besuchte, wurde stark über Selbstmord spekuliert. Er war von seinen Mitschüler/innen wegen seiner veganen Lebensweise aufs Heftigste gemobbt worden; das ging so weit, dass er mit Fleisch beworfen wurde.


Nach wie vor kämpft man auch gegen die Windmühlen absichtlicher oder unabsichtlicher Desinformation, die nicht selten von einer Lobby und der damit verbundenen Politik gesteuert wird, der das Leid fühlender Lebewesen egal ist und die ihre Pfründe davonschwimmen sieht: der Fleischindustrie. Trauriger Weise muss man sagen, dass das Tierleid heutzutage Ausmaße angenommen hat, die nur noch erschütternd sind.


gewachsene akzeptanz

Aber die Akzeptanz, sich für eine tierleidfreie Lebensweise einzusetzen und dementsprechend zu ernähren, ist meines Erachtens unter dem Strich enorm gewachsen. Das sehe ich auch sehr deutlich im Vergleich von 2010 zu 2018. Selbst unter Vegetarier/innen, Freund/innen und Bekannten traf damals meine Entscheidung, mich rein pflanzlich zu ernähren, nicht immer auf Verständnis. Heute weiß ich von Einigen, dass sie sich inzwischen auch für diesen Weg entschieden haben. Sehr viel leichter geworden und gar nicht zu vergleichen, ist es auch durch die Tatsache, dass es ein veganes Ernährungsangebot in Hülle und Fülle gibt, ob in Supermärkten, Restaurants oder sogar auf Volks-festen wie dem Oktoberfest. Selbst in dem einzigen Gasthof des kleinen bayerischen Ortes, in dem ich lebe, wurde meine Frage, ob der Pizzateig ohne Ei wäre, ganz selbstverständlich mit Ja beantwortet, und auch meiner Bitte, den Käse wegzulassen, ohne ein Wimpernzucken nachgekommen.


Es hat sich nicht nur etwas, sondern sehr viel getan. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung empfinde ich es leichter, heutzutage vegan zu leben, als seinerzeit vegetarisch. Das liegt sicher auch daran, dass man dank der sozialen Medien mit so vielen Gleichgesinnten vernetzt ist und dadurch gestärkt wird. Und ich bin und bleibe zuversichtlich, dass die vegane Bewegung kontinuierlich wachsen wird. Sie ist ein positiver „Rundumschlag“ für alle: für die Tiere, die Erde und die Menschen.


* Quellen:

Manfred Kyber

Louie Fenton