
In dieser Rubrik stellen wir Persönlichkeiten aus der veganen Welt vor. Es geht dabei um Fragen jenseits von Tagesaktualität – und auch um eine philosophische Sicht auf die Dinge
von Dirk Müller
FOTO: TRINKHAUS
Lieber Klaus, hast du einen Lieblingstee?
Ja, das ist der Genmaicha. Ein grüner Tee mit geröstetem und gepufftem Naturreis. Ich schätze ihn seit meiner Zeit in Japan.
Du hast mal gesagt, diese Zeit in den 1970er-Jahren sei die vielleicht beste deines Lebens gewesen.
Es war jedenfalls eine sehr schöne Zeit mit vielen prägenden Erfahrungen. Ich studierte damals Sinologie, Japanologie und Kulturwissenschaften und durfte die Kulturen und viele Menschen in Japan, China und Indonesien kennenlernen. In Japan habe ich eine große Freiheit verspürt, außerdem waren die Menschen unglaublich freundlich und herzlich – und ich bekam dort Einblicke etwa in die traditionelle Küche eines Zen-Tempels, in eine Sake-Brauerei und in das Handwerk eines alten Tofu-Meisters.
Das Thema Tofu ließ dich dann nicht mehr los …
Allerdings. 1979 kam ich wieder nach Deutschland, 1980 zogen meine aus Finnland stammende Frau und ich zusammen. Im selben Jahr wurde das erste unserer fünf Kinder geboren. Nebenher produzierte ich Bio-Tofu, als einer der absoluten Pioniere in Deutschland. Ich dachte, das geht parallel zum Studium, aber das war ein Irrtum. Also wurde ich hauptberuflich Tofuproduzent.
Und das war so gewollt?
Mehr oder weniger. Es hat sich so ergeben, wie so vieles. Vielleicht war es auch einfach mein Schicksal.
Glaubst du an Schicksal?
Ich habe schon den Eindruck, dass mich eine Macht, die sich außerhalb meiner selbst befindet, immer wieder in bestimmte Bahnen lenkt.
Eine religiöse Erfahrung?
So weit würde ich nicht gehen, aber es ist schon so, dass ich alle wichtigen Entscheidungen mit einem Grundvertrauen treffe. Die Dinge regeln sich, wenn man mit Optimismus und Vertrauen durchs Leben geht.
War die Tofuproduktion damals gleich ein Erfolg?
Die ersten Jahre waren schon hart. Aber mit der Bio-Welle lief es dann immer besser. Bio war damals für mich ganz entscheidend, viel wichtiger, als konsequent vegetarisch oder vegan zu leben – oder „veganisch“, wie es damals hieß. Erst viel später wurde mir klar, dass man mit Veganismus viel eher die Welt retten kann als mit Bio. Sogar konventionelle vegane Produkte sind in Produktion und Verbrauch in der Regel viel nachhaltiger und umweltfreundlicher als etwa Bio-Milch oder -Eier.
Erst mit Tofu, dann mit Seitan: Du warst immer auf der richtigen Seite.
Ja, aber einen Heiligenschein hab’ ich trotzdem nicht. Zum Vegetarismus kam ich persönlich Ende der 70er-Jahre durch meine Frau, die damals schon ganz konsequent war. Und dass Tofu und Seitan sogar vegan sind – das war erst mal nur ein Nebeneffekt.
Wie kamst du denn dann von Tofu auf Seitan?
Das war 1993, nach dem Verkauf meiner Tofurei, für die damals ein guter Preis geboten wurde. Ich gründete die Topas GmbH, die Abkürzung steht für „Tofu, Pasta, Seitan“. Bald wurde klar, dass Seitan die eigentliche Chance bietet, denn Fleischalternativen aus Weizeneiweiß gab es hier nicht. Also war ich wieder der Pionier, und ich kannte die Seitan-Produktion aus Japan, dort hat sie eine ebenso lange Tradition wie Tofu. Die neue Idee war, Seitan dem mitteleuropäischen Geschmack anzupassen. So entstanden die ersten würzigen Produkte: Würstchen, Bratstücke, Brotbelag, Pfannengerichte …
Die Produktentwicklung war immer Chefsache?
Und ist es noch immer! Tüfteln und Entwickeln, das mache ich am liebsten und kann ich wohl auch am besten. Basis ist mein eigener „Fleischappetit“, eher deftig-würzig, das funktioniert von der Roulade bis zum Gyros. Oder scharf, wie bei der Merguez, unserem absoluten Renner. All das trifft auch den Geschmack der immer zahlreicheren „Flexitarier“.
So lässt sich Geschmack mit Kunst verbinden …
Ja, das Entwickeln hat schon was Kreativ-Künstlerisches. Im Grunde habe ich viel zu viele Ideen. Mein Schwiegersohn ist glücklicherweise sehr strukturiert und derjenige, der die Kreativität in die richtigen Bahnen lenkt. In der Konsequenz entwickle ich allerdings auch nicht mehr nur nach Lust und Laune, sondern mehr nach Marktnachfrage. Zum Beispiel habe ich mich lange geweigert, einen Burger zu entwickeln, aber Charles-Henry meinte, damit lägen wir genau richtig. Jetzt ist der Burger da, wir nennen ihn „Superhero“, und die ersten Zahlen sind sehr positiv.
Fundament ist immer das „Wheaty-Versprechen“?
Ja, keine Naturraumzerstörung, keine Menschenrechtsverletzungen, keine langen Transportwege. Und alle Produkte in Bio-Qualität. Und natürlich: kein Tierleid! Das ist heute mein Hauptantrieb. Was der Mensch den Tieren milliardenfach antut, ist ein grausames Verbrechen, vor allem die Massentierhaltung.
Siehst du Hoffnung?
Erst mal wird alles noch schlimmer werden, solange etwa die EU Billigfleisch extrem subventioniert. Das ist eine der größten Sauereien überhaupt! Aber global bald zehn Milliarden Menschen wird man unmöglich mit Fleisch aus Massentierhaltung ernähren können. Zum Glück tut sich einiges: Kürzlich habe ich in einer 4. Klasse referiert, da wussten die Kinder ganz genau, was „vegan“ bedeutet, und sie nannten Argumente wie „Die Tiere werden eingesperrt und getötet“ oder „Fleisch kann krank machen“. Und diese „Fridays for future“-Schülerdemos – tolle Sache! Ich habe den Eindruck, die junge Generation entwickelt mehr Empathie, als wir uns damals je zugetraut hätten. Da kommt eine große Welle in Gang. In 20, 30 Jahren wird Fleisch ein seltenes, sehr teures „Luxusprodukt“ sein.
Wie kann man diese Welle unterstützen?
Nur ein kleines Beispiel: Bei den Demos gegen Affenversuche vor dem Tübinger Max-Planck-Institut 2014/15 waren wir mit einer „Gulaschkanone“ vor Ort. Da war eine Stimmung wie in Woodstock. Wir unterstützen auch Organisationen wie „Animal’s Angels“ finanziell.
Wie siehst du deine persönliche Zukunft?
In der Firma will ich mich nach und nach ganz aufs Entwickeln konzentrieren und die Leitung meinem Schwiegersohn übergeben. Seine Söhne – unsere Enkel – sind noch klein, für die beiden hätte ich gern noch mehr Zeit, aber auch für meine Hobbys wie Wandern, Malen, Astrologie, Holzarbeiten, Kochen, Bogenschießen, Fotografieren, Reisen, klassische Musik … Es wird Zeit, sich mehr Zeit zu nehmen.
ZUR PERSON:
Klaus Gaiser, der 67-jährige, fünffache Familienvater, war einer der ersten Tofu- und Seitan-Produzenten in Deutschland. Die „Wheaty“-Seitanprodukte seines Bio-Unternehmens Topas
in Mössingen (südlich von Stuttgart) sind seit vielen Jahren eine feste Größe in jedem Bioladen Deutschlands.
Mehr:
www.wheaty.de/auf-einen-tee-mit-klaus-gaiser
VEGAN für mich E-Paper:
www.vegan-fuer-mich.de/e-paper Nr. 4 2019, Seite 14-15