
Veganer und Fleischesser in einem Haushalt – kann das gutgehen? Wir haben mit drei Paaren gesprochen, die in dieser Konstellation leben
von Claudia Füßler
FOTOS: CLAUDIA FÜSSLER; ARND KRIEG; PRIVAT
Steffi vs Freddy
Er isst mindestens dreimal in der Woche ein Stück Fleisch, sie bestückt den Kühlschrank mit Hafermilch und Grünkernbratlingen – mit der wachsenden Hinwendung zur veganen Ernährung erhöht sich auch die Zahl der Beziehungen, in denen zwei Ernährungswelten aufeinanderprallen. Das geht größtenteils gut, erfordert aber von beiden Partnern ein gewisses Maß an Toleranz. Schließlich sagt die Wahl des Essens immer auch etwas darüber aus, welche Werte man vertritt und welcher Lebensstil einem wichtig ist. „Vegetarier und Veganer erzählen uns immer wieder, dass sie gerne hätten, dass auch ihr Partner sich Gedanken darüber macht, wo sein Essen herkommt und was genau da eigentlich auf dem Teller landet“, sagt Stephanie Stragies vom Vegetarierbund Deutschland (VEBU). Eine große deutsche Onlinebörse hat mehr als 25 000 ihrer Mitglieder gefragt, worauf sie beim Essverhalten eines möglichen Partners achten. 51 Prozent der Vegetarier sagen, sie könnten sich keine Beziehung mit einem Menschen vorstellen, der ab und zu Fleisch isst. Bei den Veganern lehnen sogar 85 Prozent eine solche Liaison ab. Und 55 Prozent der Veganer sind sogar ganz gezielt auf der Suche nach einem Partner, der sich ebenfalls rein pflanzlich ernährt.
Auch, wenn die Zahl der vegan lebenden Menschen in Deutschland täglich steigt und solche Ansprüche durchaus von Erfolg gekrönt sein können: Was, wenn die Liebe dorthin fällt, wo es problematisch wird? Also auf einen Fleisch- und Milchkonsumenten? Was, wenn Paare schon lange zusammen sind und aus zwei Mischköstlern plötzlich ein Veganer und ein Mischköstler werden? Kann das gutgehen? Oder geht mit dem Ende gemeinsamer Essgewohnheiten die Beziehung den Bach runter?
„Das funktioniert wunderbar“, sagen Stephanie und Freddy. Wie bei den weitaus meisten „gemischten“ Paaren ist Steffi als Frau die Veganerin, Freddy übernimmt den männlichen Part des Fleischessers. Die beiden kennen sich schon seit einigen Jahren, zusammengekommen sind sie vor einem Jahr. Damals war Steffi schon Veganerin, nach vier Jahren vegetarischer Ernährung. „Das hat für mich nie eine Rolle gespielt“, sagt Freddy. Das Café fürs erste Date hatte er ausgesucht, dort gab’s Sojamilch. „Zufall“, sagt Freddy mit einem Augenzwinkern. Das Paar treibt viel Sport und achtet daher sehr auf seine Ernährung. Jeden Samstag kaufen sie Obst und Gemüse frisch auf dem Markt beim Demeter-Stand, das Fleisch kommt ausschließlich vom Bio-Metzger. Gekocht wird zu Hause gemeinsam. „Ich achte aber zum Beispiel darauf, dass es nicht in die Pfanne mit dem Gemüse spritzt, wenn ich Fleisch anbrate“, sagt Freddy.
Für Steffi ist es völlig in Ordnung, dass ab und zu der Fleischgeruch durch die Küche zieht. Eine missionarische Ader liegt ihr völlig fern. „Ich fände es schrecklich, wenn wir uns füreinander verbiegen müssten. Jeder respektiert die Meinung des anderen“, sagt die Freiburgerin. Die Leidenschaft für gutes, nicht für veganes Essen verbindet die beiden. Sie orientieren sich stark an den Makronährstoffen – Zucker, Frittiertes oder schlechte Fette sucht man in ihrer Küche vergebens. Freddy hat sich auch mal auf einen veganen Selbstversuch eingelassen. Sehr schnell, sagt er, habe er gespürt, dass er im Fitnessstudio nicht die gewohnte Leistung bringen kann. „Auf Fleisch und Eier zu verzichten ist für mich ein Problem“, sagt er. Dass er seinen Eiweißbedarf auch mit Hülsenfrüchten decken kann, weiß er durchaus: „Das scheitert einfach an den Mengen, die ich dann esse müsste.“ Zum Glück ist Steffi da nicht dogmatisch: Sie brät ihrem Freund ab und zu auch mal ein Spiegelei – aus Liebe.

Anne vs Kevin
"Manchmal tut er mir schon leid, wenn ich ihm Grünkernküchle statt wie früher ein Steak vorsetze“, sagt Anna und grinst ihren Freund Kevin an. Die beiden sind seit zweieinhalb Jahren ein Paar und kochen leidenschaftlich gern. Nach und nach hat sich Anna in den vergangenen Jahren immer mehr für gesunde und vor allem ethisch vertretbare Ernährung interessiert. Das Schlüsselerlebnis gab es vergangenes Silvester. „Ich hatte ein Fondue geplant, mit vier verschiedenen Fleischsorten. Das wollte ich bei einem Metzger kaufen, der mir genau sagen kann, wo jedes Fleisch herkommt – das ist mir bei keinem von sechs gelungen“, erzählt Anna.
Sie hat von jetzt auf gleich auf vegan umgestellt – eine Konsequenz, die Kevin bewundert. Vor allem, weil sie es anfangs gar nicht so leicht fand, alle nötigen Nährstoffe über vegane Ernährung zu bekommen. „Hier habe ich mich sehr reinvertieft und versucht, mir alles passend zusammenzubasteln“, erklärt Anna, die für Kraft-Dreikampf, Crossfit und Poledance viel Power braucht. Inzwischen weiß sie genau, was sie essen muss, um ihren Körper ausreichend zu versorgen – Bohnen, Tofu oder Kichererbsen stehen fast täglich auf dem Speiseplan. „Wir kochen viel, und dann so, dass Anna problemlos mitessen kann“, sagt Kevin. So langsam hat er sich mit Quinoa, Hanfsamen und Seitan angefreundet, er hat sich angepasst.
Eine Entwicklung, die der VEBU oft beobachtet, übrigens nicht nur in Paar-, sondern auch in familiären Beziehungen, zum Beispiel unter Geschwistern. „Es findet eine Art Übertragungseffekt statt“, sagt Stephanie Stragies, „meist nähert sich derjenige, der vorher viel Fleisch gegessen hat, dem Veganer oder Vegetarier an.“ So isst auch Kevin heute deutlich weniger Fleisch als zu Zeiten, als Anna noch Mischköstlerin war. Wäre es Anna lieber, wenn auch Kevin sich vegan ernähren würde? „Schwierige Frage“, sagt sie. „Einerseits finde ich es dringend nötig, dass wir Menschen vom Fleisch Abstand nehmen, andererseits ist es genauso wichtig, dass jeder selbst bestimmen kann, was er macht. Ein Problem hätte ich wohl vor allem damit, wenn er billiges Fleisch zum Grillen kaufen würde.“ Die Toleranz beruht auf Gegenseitigkeit. Anna schätzt es sehr, dass Kevin ihre Entscheidung fürs vegane Leben akzeptiert. „Ich merke so oft, wie schnell man schief angeschaut wird, wenn man erzählt, dass man keine tierischen Produkte isst – so, als würde sich dadurch die ganze Person ändern und nicht nur die Ernährungsweise.“
Anna und Kevin gehen gerne und oft essen. Mal in ein herkömmliches Restaurant, wo Anna sich dann aus der Speisekarte das zusammenstellt, was vegan ist. Mal in rein vegane Restaurants. „Das ist schon eine ziemliche Umstellung gewesen, eben weil wir so oft ausgehen“, erzählt Kevin. Inzwischen hat er auch bei den veganen Lokalitäten seine Favoriten gefunden. Ein großer Tofufan ist er allerdings nicht geworden. Und die Currywurst, die er sich ab und an gönnt, die lasse er sich keinesfalls verbieten, sagt er lachend. Ob er sich denn vorstellen kann, mal ganz vegan zu leben? Kevin überlegt. „Ganz ausschließen“, sagt er dann, „will ich das nicht.“ Und Anna lächelt.

Solveig vs Joachim
Wenn Solveig und Joachim gemeinsam essen, verzichtet Joachim auf Fleisch. „Ich muss sie nur angucken und weiß sofort, was sie davon hält, also lasse ich es lieber“, sagt der Freiburger. Dabei wäre es Solveig zufolge völlig okay, wenn er in ihrer Gegenwart Fleisch isst. Die beiden kennen sich seit 15 Jahren und haben alle Aufs und Abs miteinander durch, die eine Beziehung so haben kann. Fernbeziehung, zusammen wohnen, getrennt wohnen. Das Thema Ernährung hat dabei auch immer wieder eine Rolle gespielt. So sehr, dass sie heute lieber getrennt wohnen und kochen. Denn trotz Differenzen über Cashewcreme, Grünkohlchips und Mandelmilch – die Liebe ist stärker als der Wunsch, den anderen zu einem bestimmten Lebensstil zu bekehren.
Solveig hat in einem jahrelangen Prozess den Weg erst zu veganer und dann rohveganer Ernährung gefunden. Viel zu einseitig, findet Joachim, der sich auch am Dogmatismus vieler Veganer stört. Dogmatisch, sagt Solveig, sei sie bis heute nicht. Wenn sie unterwegs sind und es nur vegetarisch gibt, isst sie eben vegetarisch. „Ich möchte auch nicht mehr über Ernährung streiten, darüber sind wir jetzt hinweg“, sagt sie. Das sah vor einigen Jahren noch anders aus, da bekam Joachim Mails von seiner Liebsten, nach deren Lektüre ihm der Appetit gründlich vergangen war – zu Massentierhaltung, gesundheitlichen Auswirkungen von nicht-veganer Ernährung und so fort. Ganz konfliktfrei ist das Thema auch heute nicht, aber das Paar hat sich arrangiert. Joachim hat in seinem Kühlschrank Sojamilch für Solveig, trinkt selbst aber Kuhmilch im Kaffee. „Das schmeckt mir einfach besser.“ Solveig hat das Missionieren eingestellt und akzeptiert, dass für Joachim das kulinarische Glück eher in einem Stück Wild als in einer Tofuwurst liegt. Und weil er toll kochen kann, zaubert er hin und wieder auch ein komplett veganes Gericht für Solveig.